Autor: Reinhard Schmidt (2021)
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Johannes Otto Kehr, genannt Hans Kehr, wurde am 27.04.1862 in Waltershausen geboren. Er war das fünfte von 10 Kindern der Eheleute Christoph Karl Dorotheus Kehr (1830 – 1885) und Rosine Pauline Kehr (1835 – 1922). Im Vorschulalter machte ihn seine Großmutter Maria Döbel mir der Thüringer Märchen- und Sagenwelt vertraut und dürfte so indirekt seine spätere Leidenschaft für Victor Scheffels Dichtungen und Richard Wagners Musik geweckt haben. Hans Kehr besuchte ab 1868 die Schule in Gotha. Sein Vater war dort seit 1863 am Lehrerseminar tätig. Als dieser 1873 zum Seminarleiter in Halberstadt berufen wurde, zog die Familie um und Hans Kehr besucht die dortige Schule. 1881 legte er in Halberstadt die Reifeprüfung ab und begann im gleichen Jahr ein Medizinstudium in Jena. Nach Studienaufhalten in Halle und Berlin promovierte Kehr am 15.09.1885 in Jena. Anschließend war er an der Medizinischen Poliklinik Jenas als Praktikant tätig. 1886 erhielt Kehr die ärztliche Approbation. Er bekam eine Assistentenstelle bei dem renommierten Chirurgen Geheimrat Dr. Ernst Carl Meusel in Gotha. Dieser habe ihm – so schrieb Kehr später in einer Monographie 1899– „… die Liebe zur Chirurgie ins Herz gepflanzt….“1)
Im Jahr 1888 ging Hans Kehr nach Berlin und Wien, um bei Eduard Albert und Theodor Billroth in moderner Chirurgie zu vervollkommnen. Allerdings erlebte er (auch dort) keine Gallensteinoperation durch die Bauchdecke.
Im Juli 1899 kehrte er nach Halberstadt zurück und ließ sich als Spezialarzt für Chirurgie und Orthopädie nieder. Am 22.05.1890 führte Kehr seine erste Gallenoperation durch.
Mit seinem Schwager Dr. Richard Rohden, einem HNO-Arzt, eröffnete er am 01.10.1890 in Halberstadt eine Privatklinik. Kehr ist als Begründer der Gallenblasenchirurgie anzusehen. Über die Jahre perfektionierte er seine Operationsmethode und wurde weltberühmt. Die Privatklinik nahm einen sprunghaften Aufschwung und expandierte.
1896 wurde Dr. Hans Kehr zum Professor berufen.
1903 begab er sich auf eine Vortrags und Demonstrationsreise nach Amerika. Für seine Referate in Boston, Washington und Philadelphia und seine dort durchgeführten OPs erhielt Kehr große Anerkennung. Unter seinen ca. 2300 Operationen während seines Schaffens waren teil spektakuläre Behandlungen. So rief man Kehr 1904 an das Krankenbett des französischen Ministerpräsidenten Waldeck-Rousseau. 1907 operierte er die Tochter des Berliner Chirurgen Ernst von Bergmann und 1908 Chirurgen Otto Hildebrandt.
Aufgrund seiner familiären Wurzeln hatte Hans Kehr eine innere Bindung zu Thüringen. Immer wieder zog es ihn in die Gegend um Geschwenda, Elgersburg und Gehlberg. Im letztgenannten Dorf erwarb er ein Grundstück, auf welchem er 1908 seine Sommerresidenz – das „Glöckchen im Tal“ – und 1913 eine Villa bauen ließ. (Spezielles über Kehrs Zeit in Gehlberg findet der Leser im Kapitel 31 der Chronik 1645-1945.)
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Abb. 1908-005 |
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Neben Kehrs fachlicher Spitzenkompetenz war auch dessen soziales und kulturelles Engagement außergewöhnlich. So waren ihm interdisziplinäre Zusammenarbeit, gesundes Arbeitsklima, freundlicher Umgang mit den Patienten wichtig. Kehr hatte sein ganz eigenes Honorarsystem, wonach betuchte Patienten die Rettung ihres Lebens so zu bezahlen hatten, dass für minderbemittelte kostenfrei Behandlungen möglich wurden.
Seine Begeisterung für Wagners Musik, seine persönlichen Kontakte zu dessen Witwe Cosima, seine Freundschaft mit Wagners Sohn Siegfried, machten es ihm möglich, mehrere Richard-Wagner-Festspiele in Halberstadt zu organisieren. Das brachte Halberstadt den Sitznamen „Klein-Bayreuth“ ein. Höhepunkt war die Aufführung der „Meistersinger von Nürnberg“ 1910. Kehr hatte es über eine Spendensammlung ermöglicht, dass minderbemittelte Bürger diese Aufführung sehen konnten. Als Kehr eine solche Aktion wiederholen wollte, führte das zu Konflikten mit der Stadt und Teilen der Bürgerschaft.
Letztgenannter Vorfall beschleunigte Kehrs Absicht, nach Berlin zu gehen. Binnen kürzester Zeit löste er seine Klinik in Halberstadt auf und ging noch 1910 an die Privatklinik von Prof. Ernst Unger (Pionier der Nierentransplantation und modernen Anästhesie) nach Berlin.
Bei einer OP am 15.05.1916 zog Prof. Kehr sich eine Stichverletzung mit nachfolgender Blutvergiftung zu. Eine Armamputation, welche ihm das Leben gerettet, aber ein Weiterleben als Chirurg unmöglich gemacht hätte, lehnte er ab.
Binnen 5 Tagen, am 20.05.1916, verstarb Prof. Hans Kehr.
Seinem Wunsch folgend, wurde sein Leichnam in Gotha eingeäschert. Seine letzte Ruhestätte fand er bei seinem geliebten „Glöckchen im Tal“ bei Gehlberg.
Publikationen
- Die chirurgische Behandlung der Gallensteinkrankheit . Berlin 1896 | |
- Die in meiner Klinik geübte Technik der Gallensteinoperationen . München 1905 | |
- Die Praxis der Gallenwege-Chirurgie in Wort und Bild. 2 Bände. München 1913 (Kehrs Lebenswerk) | |
- Chirurgie der Gallenwege . Stuttgart 1913 |
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Ehrungen/Gedenken
Hans-Kehr-Stein bei Gehlberg
Über die Geschichte dieses beliebten Wanderziels und Fotostandortes ist eigentlich nichts bzw. wenig bekannt, also auch nicht, wann und durch wen er angelegt wurde. Es handelt sich um eine relativ kleine Felsnase auf dem Bettelmannskopf, welche unweit des Rainwegs in Kammlage über dem „Wilde Gera“-Tal thront. Man hat einen herrlichen Panorama-Blick auf Gehlberg, den „Brand“ und über das „Wilde Gera“-Tal hinweg in Richtung „Schneekopf“, „Langerain“ bis zum „Buch“.
Abb. 2021-022 Hans-Kehr-Stein
An der linken Felsseite war schon immer der Name angebracht. Rechts wurde 1997 eine Gedenktafel angebracht.
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Abb. 2021-024 Die 1997 angebrachte Gedenktafel.
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Abb. 2021-023 Die ursprüngliche Beschriftung des Aussichtspunktes.
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Hans-Kehr-Symposium für interdisziplinäre Gastroenterologie und Viszeralchirurgie
Seit 1995 findet im 2-jährigen Turnus dieses Symposium statt. Anlässlich des 2. Symposiums in Oberhof bzw. Suhl wurde eine Plakette am Hans-Kehr-Stein angebracht (siehe Abb. 2021-024).
Seit 1995 findet im 2-jährigen Turnus dieses Symposium statt. Anlässlich des 2. Symposiums in Oberhof bzw. Suhl wurde eine Plakette am Hans-Kehr-Stein angebracht (siehe Abb. 2021-024).
Radrundfahrt des Kreiskrankenhauses Schmalkalden
Das Kreiskrankenhaus Schmalkalden führt ebenfalls im 2-jährigen Turnus (immer zwischen o. g. Symposien) eine Radrundfahrt durch, welche auch zum Glöckchen im Tal bzw. zum Hans-Kehr-Stein führt.
Hans-Kehr-Preis des Ameos-Klinikums Halberstadt
Anlässlich des 11. Symposiums in Halberstadt stiftete das Ameos-Klinikum erstmals den Hans-Kehr-Preis.
1) | Kehr, Hans (2018-11-29) . Anleitung zum Erlernen der Diagnostik der einzelnen Formen der Gallensteinkrankheiten: Auf Grund Eigener, bei 433 Gallenstein-laparotomien Gewonnener Erfahrungen für den Praktischen Arzt Zusammengestellt. Classic Reprint Series . |
- | Schneider, Bernd . (2009) . Hans Kehr in seiner Zeit . Ärzteblatt Thüringen . 275 – 279 . Ausgabe 4/2009 . 20. Jahrgang |
- | Eder, F. . Meyer, F. . (2012) . Kehrs Wirken in der Gallenchirurgie . Zentralblatt für Chirurgie – Zentralblatt für Allgemeine, Viszeral-, Thorax und Gefäßchirurgie . 2012 . 137 . 75 – 78 |
- | Klimpel, Volker . (1987/88) . Die Durchsetzung neuer gallenchirurgischer Operationsprinzipien durch Hans Kehr (1862 – 1916) in der Zeit von 1890 bis 1916 . Beiträge zur Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte Erfurts . Bd 21 . 1987/88 . 221 -242 |
- | Pincus, Walter . (1927) . Hans Kehr . Mitteldeutsche Lebensbilder . Bd 2 Lebensbilder des 19. Jahrhunderts . Magdeburg 1927 . 469 – 476 |
- | https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Kehr (Stand: 05.09.2021 |
Literaturhinweise und Fotos aus dem privaten Nachlass von Prof. Kehr stellte Familie Gebser zur Verfügung.