1909 – 1945 Wintersport in Gehlberg / Teil 1 (Ergänzung 1909-001)

Autor: Reinhard Schmidt (2021)
 

Mit seiner Lage am Nordhang des Thüringer Waldes hatte Gehlberg gute Skimöglichkeiten in einer Höhe zwischen 600 und 976 Metern zu bieten. Es war somit nicht verwunderlich, dass die Gehlberger Jugendlichen Ski fahren konnten und unter diesen einige Naturtalente und Spitzenkönner in dieser Sportart waren. Doch dazu später.

Mit der Inbetriebnahme der Bahnstrecke Erfurt–Rentwertshausen–Würzburg 1894 entwickelte sich der Tourismus in der Region um Oberhof – und das auch im Winter. Und so fand der Ski als Wintersportgerät Ende des 19. Jahrhunderts den Weg von Skandinavien nach Thüringen. Nachdem Gehlberg 1891 einen eigenen Bahnhof hatte, erlebte der Ort einen Ansturm an Erholungssuchenden und Wintersportlern. Außer der Glasindustrie wurde der Tourismus zur wichtigsten Einnahmequelle. 
Neben dem Skifahren als touristischem Freizeitvergnügen (und aus diesem heraus) entwickelte sich das Skifahren als Wettkampfsport. 1909 wurde der Gehlberg Skiverein (dessen Gründungsdatum nicht beurkundet ist) in den 1905 gebildeten Thüringer Wintersportverband aufgenommen. Auch wegen der vielen Wander- und Skiurlauber wurde 1913 ein „Sanitätszug“ (Sanitätseinheit) gegründet. Damit hatte Gehlberg de facto die erste Bergwacht Thüringens.
Durch den 1. Weltkrieg kamen die touristische und sportliche Entwicklung aber für Jahre wieder zum Erliegen.

Das änderte sich in den 1920er-Jahren. Sowohl der individuelle als auch der Vereins-Skisport blühte auf. Es entstand Bedarf an Skilehrern.

 1920 002 DSV Handbuch 9 Skilehrer Verband
Abb. 1920-002

1920 003 DSV Heinz

Abb. 1920-003
Vereinsabzeichen des H. Heinz, Großvater des Peter Schwab (siehe 1945-1989 Wintersport in Gehlberg / Teil 2)
Hermann Heinz verließ Gehlberg aus beruflichen Gründen. Er arbeitete im Eichamt Ilmenau als Obereichmeister.

Als Beleg für einen gut organisierten Skiverband mögen beigefügte Auszüge aus dem Handbuch des Deutschen Ski-Verbandes von 1928 dienen. ⇒(EA1928-001)Buch
 
Der Ski-Wettkampfsport nahm rasant an Fahrt auf. Ende der 1920er-Jahre entstanden die ersten Skihütten am Brand. Es etablierten sich vereinsübergreifende Wettbewerbe, wie z.B. der Beerberg-Lauf. Neben dem anfangs dominierenden Ski-Langlauf wurde auch der Sprunglauf wettkampfmäßig betrieben. Gustav Räther A], Vorstandsmitglied des Deutschen Skiverbandes, selbst aktiver Sportler und oft in Gehlberg, machte sich für den Ausbau von Wintersportanlagen am Schneekopf und im Schneetiegel stark. Leider ließen die Gehlberger Kommunalpolitiker diese Chance zur Entwicklung des Ortes ungenutzt verstreichen. Die logische Konsequenz daraus war, dass Oberhof zum bevorzugten Austragungsort nordischer Ski-Disziplinen wurde. Und so fand die 8. Nordische Skiweltmeisterschaft (13.-16.02.1931) nicht etwa in Gehlberg, sondern in Oberhof statt.


Bereits 1930 wurden auf dem Ski-Kongreß in Oslo auch der Slalom und der Abfahrtslauf in die internationale Wettlaufordnung aufgenommen ⇒(EA1930-001)Buch. Dafür fehlten in Oberhof aber jegliche Voraussetzungen. In Deutschland wurde die Durchführung dieser Disziplinen dem Bayrischen Skiverband übertragen. Hermann Eitel schrieb in der Verbandszeitschrift 2/1932 des DSV dazu:“… Leider besitzen wir in Thüringen, wie fast alle Mittelgebirgler, kein für Abfahrtslauf geeignetes Gelände. Deshalb müssen wir auf den Abfahrtslauf verzichten und uns mit dem Slalom begnügen. Erstmals wird ein solcher vom Thrg. Wintersport-Vbd. am 21. Februar 1932 am Steilhang des Schneekopfs durchgeführt. …“ Im Widerspruch dazu steht eine Aussage Roland Sängers in seiner „Chronik des Thüringer Skisports“ (1995, Seite 118f), wonach die Erfurter Ski-Zunft 1932 den Steilhang am Schneekopf gepachtet habe, um Abfahrtsläufe austragen zu können. Direktor Krauß von der Erfurter Filiale der Dresdner Bank sorgte dafür, dass die Gewinne aus der 8. Nordischen Skiweltmeisterschaft in den Ausbau der ersten Piste für Ski-Abfahrten in Thüringen flossen. Diese begann auf dem Schneekopfgipfel und führte an dessen nördlichem Steilhang durch die „Hölle“ ⇒(EA2021-003)Foto hinab. Diese Piste war zwischen 15 und 50 Meter breit. Weil das Geld nicht ausreichte, endete der Streckenausbau am Planieweg bzw. Venetianerbrunnen.

2021 008 Schneekopf Abfahrt HoelleAbb. 2021-008(Google Earth, Sucheingabe „Schmücke“, bearbeitet)
Ehem. Abfahrt vom Schneekopfgipfel bis zum Planieweg/Venetianerbrunnen 

 
Für zusätzliche Verwirrung sorgt ein Brief von Gustav Räther (Vorstand des Gaues 6 des DSV), den dieser 1935 an die Gemeinde Gehlberg richtete. In diesem ist die Rede von einer "Abfahrtsstrecke vom Schneekopf bis hinunter ins Tal der wilden Gera". Die Betreuung dieser Strecke wollte Räther dem Gehlberger Wintersportverein übertragen.5)  ⇒(EA1935-006)Buch
Eine Abfahrt vom Schneekopf ins Geratal hat es nie gegeben - es sei denn, die letzte Fahrt der NICHT-Gehlberger Ski-Sportler zum Bahnhof Gehlberg vor ihrer Heimreise mit dem Zug (Abb. 2021-009). Räther meinte die Abfahrt in den Schneetiegel, welcher letztlich ins Geratal mündet. Wo diese von Räther angesprochene Abfahrt unterhalb des Planiewegs genau verlief, ist nicht überliefert. Ob er mit dem von 1950 (zu welchem es eine Streckenskizze gibt) identisch ist, bleibt fraglich, denn durch den Borkenkäferbefall und Windbruch von 1946 gab es plötzlich viele Abfahrtmöglichkeiten. Heute (2022) ist von der Abfahrt am Nordhang des Schneekopfs nichts mehr zu erkennen, weil der gesamte Höhenzug – mit Ausnahme der viel später angelegten Slalomstrecke – wieder bewaldet ist. Mehr dazu in dem Beitrag „Der Ski-Sport in Gehlberg 1945-1989“.

2021 009 Schneekopf Abfahrt Bahnhof
Abb. 2021-009 (Google Earth, Sucheingabe „Schmücke“, bearbeitet)
Ehem. Abfahrt vom Schneekopfgipfel bis zum Schneetiegeleingang 

 
Durch die Erfurter Ski-Zunft wurde etwa zwischen 1920 und 1925 am Westhang des Schneekopfs ein relativ kurzer Abfahrtshang angelegt und später peu a peu verbreitert. Dessen Verlauf ist noch heute (2021) zu sehen.

2021 010 Schneekopf Erfurter Hang
Abb.2021-010 (Google Earth, Sucheingabe „Schmücke“, bearbeitet)
Ehem. „Erfurter Hang“ 

Etwa seit den 1920er Jahren gab es auf dem Brand eine kleine Naturschanze.

 
1929 007 Blick vom Brand
Abb. 1929-007
Das Bild zeigt nur eine relativ schmale Schneise. Die Bildbeschreibung lässt offen, ob der Fotograf im Anlauf oder auf dem Schanzentisch steht. Der nur zum Teil sichtbare Auslauf verdient seinen Namen nicht, weil er abrupt endet und vor dem Hochwald nach rechts abbiegt.

Im Zuge der Notstandsarbeiten wurde die kleine Naturschanze auf dem Brand erweitert. In diesem Zusammenhang hatte der Wintersportverein Gehlberg in den Jahren 1931 und 1932 Löhne für „Sprunghügelarbeiten“ ausgezahlt.

1931 004 Schanzenbau
Abb. 1931-004 

2021 011 Brand SchanzeAbb. 2021-011 (Google Earth, Sucheingabe „Schmücke“, bearbeitet)
Lage der ehemaligen Naturschanze am Brand 


Mangels Gegenhang endete der Schanzenauslauf auf dem „Plateau“ mit einer Bretterrampe. Die Schanze wurde am 12.02.1933 eingeweiht.
 1933 004  Schanzenweihe
Abb. 1933-004
Weihe der ehemaligen Naturschanze am Brand.
 
Nach 1945 wurde die Schanze nicht mehr gesprungen. Die Bretterrampe verfiel in den Nachkriegsjahren und dürfte viele Gehlberger Wohnzimmer gewärmt haben. Da kein Foto von diesem skurrilen Auslauf mehr vorhanden war, wurde hier eine Fotomontage beigefügt.

2021 012 Hindenburgschanze
Abb. 2021-012
Blick in den Schanzenauslauf
Die Farbgebung der Rampe ist fiktiv. Laut Zeitzeugen soll der Name Hindenburg-Schanze keinen langen Bestand gehabt haben, weil die Schanze für diesen „großen“ Namen zu klein war. 

2021 013 Brand NaturschanzeAbb. 2021-013
Profil der ehemaligen Naturschanze 

In den 1920er- und 1930er-Jahren war Gehlberg in der Thüringer Wintersportgeschichte nicht unbedeutend. So fand vom 26. bis 30.12.1926 im Beamtenheim (Mühlweg 10) ein Wintersportlehrgang für 90 Lehrer und Lehrerinnen statt. Grund dafür war die Aufnahme des Wintersports in den Schullehrplan. Verantwortlicher Ausbilder für den Skilauf war Universitäts-Turn-und Sportlehrer Hermann Eitel. Letzterer war mit seinen Sportstudenten regelmäßig zum Skilager in Gehlberg. (Diese Lehrerfortbildung wurde ein Jahr später nochmals am gleichen Ort durchgeführt.)
Parallel zur Lehrerfortbildung fand in Gehlberg ein Kursus des Thüringer Wintersportverbandes für 40 Skilehrer und Kampfrichter unter Leitung von Gustav Räther statt. Räther war damals Vorsitzender des Sportausschusses im Thüringer Wintersportverband und außerdem Vorsitzender des Sportausschusses im DSV. 1)
1929 tagte der Thüringer Wintersportverband in Gehlberg. Für die Vorbereitung war Hermann Eitel zuständig.
Am 11. und 12. Februar 1933 waren die Jenaer Universitäts-Skimeisterschaften in Gehlberg. 2)
Am 08.01.1935 wurde das Beamtenheim offiziell als Skiheim der UNI Jena geweiht.3) Einen Monat später (03.02.) fand wieder die Jenaer Universitäts-Skimeisterschaft in Gehlberg statt.

Am 10.09.1933 wurde der Thüringer-Wintersport-Verband liquidiert und in das Gau VI umgewandelt. Gauführer wurde Gustav Räther (siehe Kapitel 37). Entgegen dem bis 1939 anhaltenden Trend zum alpinen Skisport (seit 1937 gab es jährlich Thüringer Meisterschaften am Schneekopf) forderte das Reichsfachamt Skisport die Orientierung am „bodenständigen Skilauf im Mittelgebirge“. Damit waren der Ski-Langlauf und der Sprunglauf gemein. In Folge spielten Thüringer im alpinen Skisport kaum eine überregionale Rolle. (Neben der Nordischen Kombination [Sprung+Langlauf] gab es bis 1951 auch die Viererkombination [Sprung+Langlauf+Torlauf+Abfahrtslauf].)

Wegen des regen Wochenendbetriebes am Schneekopf und an der Schmücke richtete die Gehlberger Bergwachtgruppe 1938 ständige Dienste an der Erfurter Hütte und auf der Schmücke ein.

1941 fand die letzte (Kriegs-) Meisterschaft des Gaues VI in Oberhof statt. Die aktiven Skisportler waren oder wurden in diversen Gebirgsjäger-Einheiten eingezogen. Die männlichen Freizeitsportler waren an der Front. Und selbst deren Skier wurden an die Ostfront „eingezogen“. 
Die Auswirkungen des Krieges wurden immer deutlicher spürbar.

Nachfolgend eine Auflistung von skisportlichen Ereignissen (1909–1941), in denen Gehlberg oder Gehlberger eine Rolle spielten (entnommen dem Buch Roland Sängers „Chronik des Thüringer Ski-Sports“:
  - 1909  Aufnahme des Gehlberger Skivereins in den Thüringer Wintersport Verband 
  - 23.02.1921  Beerberglauf; 1. Platz: Ludwig Schleicher; Gehlberg 
  - 17.12.1922 
Beerberglauf; 1. Platz: Ludwig Schleicher; Gehlberg 
  - 23.12.1923 
Beerberglauf; 1. Platz: Ludwig Schleicher; Gehlberg 
  - 1922  Hauptjugendwettkämpfe Thüringen
10-12 Jahre:
   1. Hermann Möller; Gehlberg
12-14 Jahre:
   2. Alfred Bergmann; Gehlberg
   3. Richard Seidenstricker; Gehlberg
14-16 Jahre:
   1. Hermann Griebel; Gehlberg
   2. Walter Weiß; Gehlberg 
  - 1926  Ludwig Schleicher gewinnt den Thüringer 18-Kilometer-Lauf in Oberhof 
  - 1929  Thüringer Jugend-Ski-Tag in Stützerbach; Sprunglaufsieger der Knabenklasse II: Rudi Gering; Gehlberg
  - 18.02.1933 
Einweihung der Schanze am Brand; Weihesprung durch Erich Recknagel mit 34 m;
Otto Wahl aus Zella-Mehlis erhielt als Meister des „Beerberg-Gaues“ den vom Schmücker Wirt „Wieprecht“ gestifteten „Schmücke-Pokal“ 
  - 1934 Beerberg-Lauf; 1. Arthur Fleischhauer; Gehlberg
  -1939 Rudi Gering wird Mitglied der deutschen Nationalmannschaft
  - 1941 letzte (Kriegs) Meisterschaft des Gaues VI
  # Langlauf: 6. Hans Heinz Gehlberg
  # Sprunglauf: 1. Rudi Gering
  - 1941
Planica; Rudi Gering springt mit 118 m Weltrekord


Verwendete Quellen:
1) Jenaer Volksblatt. 37. Jahrgang, Nr. 306. Beilage vom 31.12.1926
2) Amt für Leibesübungen. In: Die Jenaer Studentenschaft Nachrichtenblatt der Studentenschaft der Universität Jena Nr. 7, Jena 1933, S.138
3) UAJ. Bestand BA. Nr. 847. Blatt 140
4) Sänger, Roland. (1995). Chronik des Thüringer Skisports. präsentiert von "Freies Wort" und "Südthüringer Zeitung"
- Google Earth
Sekundärliteratur:
A] Mehr Informationen zur Person des Gustav Räther finden Sie unter
     Köhler, Lothar . 2014 . FdSnow . Heft 32 . Gustav Räther – „NRSL-Reichsfachamtsleiter Skisport“ im Dritten Reich
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