1928 Die Hütten am Brand (Ergänzung 1928-001)

Autor: Reinhard Schmidt (2023)
Wie in den Kapiteln „27. Der Fremdenverkehr und die ‚Hichiene‘ (1892-1896)“ und „1909-1945 Wintersport in Gehlberg, Teil 1 (Ergänzung 1909-001)“ bereits geschildet, entwickelte sich Gehlberg in Folge seiner verkehrstechnischen Erschließung durch die Bahn zu einem Tourismus- und Wintersportgebiet. Unter den Urlaubern (in Gehlberg als „Badegäst`“ oder „Luftschnapper“ bezeichnet) waren auch solche, welche immer wieder kamen. Einige dieser „Wiederholungstäter“ ließen sich richtige Wochenendhäuser bauen (Froschhaus, Glöckchen im Tal). Andere bauten sich eine Skihütte. Auf letztere Art entstanden ab den 1920er-Jahren fünf Hütten am Brand. Die erste entstand 1928 direkt am Brandweg und war anfangs nicht mehr, als ein Aufenthaltsraum.


Abb. 1928-012
Einweihungsfeier der ersten Skihütte am Brand. Das Mädchen mit dem karierten Mantel ist Hilda Eschrich. 

1930 entstand daneben eine weitere Hütte. Beide waren anfangs eingeschossig.
 

1932 003 Brandhuetten
Abb. 1932-003
Die erste (links) und die zweite Skihütte am Brand.
Zwischen 1932 und 1934 wurden diese beiden Hütten erweitert bzw. 2-geschossig ausgebaut.


1935 013 Huetten am Brand
Abb. 1935-013

1939 003 Postkarte Am Brand
Abb. 1939-003
Wenn Sie die Abbildungen 1935-013 und 1939-003 vergleichen, fallen in Abb. 1939-003 zwei Häuser links hinter den beiden Hütten auf. Diese Häuser entstanden erst 1937. 

Bis zum 2. Weltkrieg entstanden noch 3 weitere Hütten am Brand. Alle hatten damals weder elektrischen Strom, noch fließend Wasser. Die Toilette befand sich als Plumpsklo im Wald oder neben der Hütte. Eine Abwasserentsorgung gab es auch nicht.
Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Skihütten am Brand unter Sequester gestellt. In den Akten war die Rede von einer „Hüttengemeinschaft“. Den Besitzern wurde fälschlicherweise die Zugehörigkeit zum „Reichsbund für Leibesübungen“ nachgesagt.1)
Die Gemeinde brachte in den Hütten Umsiedler aus dem Sudetengebiet unter. Bekannteste unter diesen war die Familie Hantich, welche in Böhmen eine Glashütte aufgeben musste und letztendlich Jahre später in Zwiesel wieder sesshaft wurde.


1947 001 Skihuette am Brand
Abb. 1947-001 
Eine andere dieser Umsiedlerfamilien war die Familie Grams. Diese blieb in Gehlberg, wie auch der aus dem Riesengebirge stammende Rudolf Franke, der 1946 nach Gehlberg kam und 1951 dem Albin Stollberg als Bademeister nachfolgte.
 
Auch wenn der zweite Gehlberger Nachkriegsbürgermeister den Fehler seines Vorgängers korrigierte und klarstellte, dass die „Hüttengemeinschaft“ keineswegs dem „Reichsbund für Leibesübungen“ angehört hatte, gingen die Hütten in Volkseigentum über. Eine davon bewohnte noch bis 1968 der Bademeister und Skilehrer Franke. Zwei Hütten nutzte die Sektion „Wintersport“ des „VEB Optima Erfurt“. Die älteste Hütte nutzte die SV „Einheit“ Erfurt (vorher „BSG Einheit Erfurt-Mitte“). Daneben, die „Metz-Hütte“, wurde (laut Akten) der VVB Nahrung/Genuss Thüringen zur Nutzung angeboten.2)

2024 001 brandhuetten selbst
Abb. 2024-001
Die rot markierten Hütten entstanden vor 1945.
Die Hütten, welche zu DDR-Zeiten errichtet wurden, standen entweder auf ehemaligem Boden des Forsts (am Badweg) oder der Reichbahn (westliche Seite der Brandwiese).
Als erste Skihütte nach 1945 entstand die BUNA-Hütte (Entstehungsjahr unbekannt).

1958 013 Brandhuetten 
Abb. 1958-013
v.l.n.r. Goebel-Hütte, BUNA-Hütte


1961 wurde die Leuna-Hütte fertig. Diese beiden Hütten waren eigentlich Baracken. Sie standen (und stehen) unterhalb des Plateaus zu beiden Seiten der ehemaligen Abfahrtsstrecke am Brand und dienten im Winter den Skisportlern und sonst den anderen Werktätigen der Leuna- bzw. Buna-Werke als Feriendomizil.


1961 006 Bau0078
Abb. 1961-006
Leuna-Hütte 

 
Ebenfalls 1961 entstand weiter oben am Brandweg kurz vor dem Waldrand, ein anderes Bauwerk, welches zum Gespött der Gehlberger wurde – ein Offenstall für die Kälber der LPG Schmeheim. Dieses Projekt, welches die Erfahrungen der sowjetischen Kolchos-Bauern widerspiegeln sollte, scheiterte wenige Jahre später.
Nord-westlich der Buna- und Leuna-Hütte hatte 1962 Ursel Herrmann, welche 1961 von Lok Meiningen zu Lok Gehlberg gewechselt war, eine sehr kleine (24m2) Hütte gebaut Es war die erste Privat-Hütte nach 1945.

 

1962 017 Huette
Abb. 1962-017

 


1964 001 Brand Kurt Scheidt
Abb. 1964-001
v.l.n.r. die Hütten von Goebel, Leuna, Buna, Herrmann. 
Ebenfalls in den 1960er-Jahren entstand eine weitere private Hütte nord-östlich der beiden Baracken. Diesen Platz erhielt der Tischler „Wolf“ aus Kühndorf als Äquivalent für seine Hütte am Dolmar, welche er wegen des dort 1967 entstandenen Standortes der Sowjetarmee aufgeben musste.
 
Wenig später wurde noch eine Hütte – schon viel größer – unterhalb der von U. Herrmann gebaut. Keiner sagte es, aber jeder wusste es: Das ist eine „STASI“-Hütte (STASI = in der DDR-Bevölkerung übliche Abkürzung für „Staatssicherheit“; offiziell = MfS = Ministerium für Staatssicherheit).

1968 kamen durch Festlegung des Rates des Kreises Suhl die vom Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieb Steinbach-Hallenberg verwalteten Grundstücke am Badweg in die Rechtsträgerschaft der Gemeinde Gehlberg. Der Rat der Gemeinde Gehlberg erteilte daraufhin sogenannte Nutzungsurkunden für die Eigentümer der Bebauung. Das bedeutete, errichtete Gebäude waren Eigentum des Erbauers, und der dazugehörige Grund und Boden blieb Volkseigentum. Es gab einen Bebauungsplan für den Bereich zwischen Brandwiese und westlichem Waldrand oberhalb des Badwegs. Anfangs entstanden betriebliche Ferienobjekte, Vereinshütten und später auch rein private Hütten. Zu den Ferienobjekten gehörten die Hütten von der Wohnungswirtschaft Leipzig, KOWO Erfurt (Kommunale Wohnungsverwaltung), Energiekombinat Erfurt, Fleischwaren Erfurt, Interflug, Forschungszentrum Zwickau. Turbine Erfurt erhielt ein Ersatzobjekt für ihre in der Ohratalsperre „versunkene“ Hütte.

1969 erwarben Helmut und Christa Seifert die Hütte, in welcher bis 1968 Rudolf Franke und Frau gewohnt hatten.

2022 034 Franke Seifert
Abb. 2022-034
Foto aus dem Jahr 2022
Dies ist insofern erwähnenswert, als das Ehepaar Seifert in Leipzig eine Tanzschule betrieb und die Choreografie zu der von Rene Dubianski komponierten Musik (6/4-Takt) schuf. Nach dem Entstehungsort Leipzig wurde der Tanz „Lipsi“ (nach lat. Lipsiens=Leipziger) genannt.3) Sowohl Tanzschule als auch Hütte befinden sich heute (2023) noch im Besitz der Familie Seifert. 


In den 1970er-Jahren entstand das Hüttengebiet auf der westlichen Seite der Brandwiese. Obwohl der Grund und Boden unverändert in der Rechtsträgerschaft der Reichsbahn lag, erteilte die Gemeinde Nutzungsurkunden für Grund und Boden. So baute dort u.a. die Erfurter IGA zwischen Brandweg unterer Optima-Hütte zwei Hütten mit flachem Satteldach. 

1975 003 Blick auf die Brandhuetten
Abb. 1975-003
Blick auf die Brand-Hütten aus nördlicher Richtung


1981 002 Brand1 Scheidt
Abb. 1981-002
Blick auf die Brand-Hütten aus östlicher Richtung
 


Die Versorgung der Hütten mit Wasser und Strom und auch die Entsorgung von Wasser und Fäkalien waren teils abenteuerlich. Alle Erdarbeiten wurden in Eigenleistung ausgeführt und natürlich musste auch das Material selbst organisiert werden. Meistens wurde es bei dem Elektroanschluss so gehandhabt, dass man sich einfach an den Anschluss seines Hüttennachbarn an klemmte. So hingen z.B. alle Hütten am Brandweg zu DDR-Zeiten am Anschluss der „Metz“-Hütte. Sehr hilfreich war es, wenn einer der Hüttenbesitzer über entsprechende Beziehungen verfügte. Das traf auch auf die Hütten am Badweg zu, wo ein Hüttenbesitzer bei der Energieversorgung tätig war. Von solchen „Vitamin B“ profitierte manchmal auch die Gemeinde Gehlberg. Die Stromversorgung für das Gebiet am Brand war schon allein wegen der Skilifte zu sichern.
Die Wasserversorgung erfolgte für die Hütten am Brandweg vom (alten) Wasserwerk. Auch dafür waren die Gräben selbst zu ziehen. Die Hütten am Badweg hatten sich teils an die Wasserleitung vom Venezianerbrunnen angeschlossen. Das Abwasser lief – so vorhanden – in eine Klärgrube. Die Fäkalien landeten anfangs im Plumpsklo, später – günstigstenfalls - in einer einfachen Hausklärgrube. Die Buna-Hütte soll ganz und gar nur eine Erd-Sickergrube gehabt haben.

Nachfolgende Statistik der Gemeinde Gehlberg gibt Auskunft über die Betriebsferienheime und deren Belegungstage im Jahr 1988.4)


1989 002 Betriebsferienheime
Abb. 1989-002
Bis auf wenige Ausnahmen standen diese Betriebsferienheime/Hütten alle am „Brand“. 

Mit der Wende 1989 stellte sich die Frage nach den Besitzverhältnissen neu. Was die alten 5 Brand-Hütten betraf, war das relativ einfach, denn die ursprünglichen Besitzer waren im Grundbuch verzeichnet. Die 5 Hütten gingen an die alten Besitzer bzw. deren Nachfahren oder wurden verkauft – wenn sich Interessenten fanden.

Mit den nach 1945 entstandenen Hütten wurde es komplizierter:
  • Zum einen gab es die Betriebe, denen sie gehört hatten, nicht mehr. Somit standen diese Hütten zum Verkauf. (Wer, wie und warum diese vakanten Hütten kaufte, kann und soll hier nicht Gegenstand sein.)
  • Zum anderen hatte man zu DDR-Zeiten mitunter die Grundstücksverhältnisse nicht korrekt geklärt. Durch die Treuhandanstalt wurde das Volkseigentum an Grund und Boden für das Gebiet westlich der Brandwiese an das Bahnvermögen und für das Gebiet oberhalb des Waldbadweges an die Gemeinde Gehlberg in Kommunalvermögen überführt. Das war die rechtliche Grundlage für die spätere Parzellierung und den Verkauf der Grundstücke an die Nutzungsberechtigten.
Ungeachtet des Entstehungsjahres der Hütten mussten die Besitzer die Hausanschlüsse für Wasser und Strom den aktuell geltenden Vorschriften anpassen (techn. Zustand; Zähler).

Heute (2023) ist in den meisten Fällen den Hütten ihre DDR-Vergangenheit nicht mehr anzusehen. Sie wurden renoviert und modernisiert. Einige davon werden von ihren Besitzern selbst benutzt, andere an Urlauber vermietet. Und andere scheinen zu verfallen - oder sind es schon.
Das Gebiet der Hütten am Brand hat den Status eines Sondererholungsgebietes – ist also kein Wohngebiet.



2022 037 MetzAbb. 2022-037
Der Fotostandort entspricht etwa dem aus Abb. 1932-003.
 
2022 036 erste HuetteAbb. 2022-036
Der Fotostandort entspricht etwa dem aus Abb. 1947-001.
 
 
2022 035 Optima obenAbb. 2022-035
Ehemalige obere „Optima-Hütte“

2022 039 Optima untenAbb. 2022-039
Nach Jahrzehnten des Verfalls hat sich für die ehemalige untere „Optima-Hütte“ ein neuer Besitzer gefunden. Nach der inneren wird nun auch die äußere Renovierung folgen.

2023 002 Brandhuetten1
Abb. 2023-002


2023 003 Brandhuetten2
Abb. 2023-003 



1) Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt . Bestand Gehlberg . Signatur 277 . 19.10.1945
2) Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt . Bestand Gehlberg . Signatur 277 . 15.03.1949
3) https://de.wikipedia.org/wiki/Lipsi_(Tanz)
4) Stadtarchiv Suhl . Signatur 3.4.11.9 . lfd. Nr. 441 . 11.08.1989
 

Zeitzeugen: Herr Brandt, Roland Fischer, Rolf Fleischhauer, Ursel Laier, Werner Metz, Bodo Seifert, Helmut Wehner 

 

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