Autor: Reinhard Schmidt, 2023
In der ZDF-Sendung „Bares für Rares“ vom 3. November 2023 wurde ein Gemälde angeboten, welches die Fabrik der Firma LUCO Mitte der 1940er-Jahre zeigte. Der Verkäufer des Bildes stellte sich als „Gerd“, Enkel des „Ludwig und Co“, vor. Zur Geschichte des Bildes gab er an, dass der aus Bonn stammende (Anm. des Autors: und an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule ausgebildete) Maler Carl Nonn 1944 nach Gehlberg evakuiert worden sei. Dort habe ihn der LUCO (Anm. des Autors: das war der Firmenname, der aus den ersten beiden Buchstaben des Nachnamens von Edwin Ludwig und dem Kürzel „Co“ für „Compagnon“ gebildet worden war - und letztlich zu seinem persönlichen Spitznamen wurde -) aufgenommen. Aus Dankbarkeit habe vor seiner Rückkehr nach Bonn Carl Nonn dem (Edwin) Ludwig das Gemälde geschenkt. Wie im weiteren Gesprächsverlauf in der Sendung von „Gerd“ richtig gesagt wurde, steht das Gebäude heute nicht mehr. 1)
![]() Gemälde von Carl Nonn aus dem Jahr 1944 (Foto wurde vom Auktionshaus Vechtel zur Verfügung gestellt) |
2009 wurde das Gebäude, welches von Mitte der 1950er-Jahre bis 1989 RAW-Ferienlager war, abgerissen.
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Was hatte es mit dieser Fabrik und deren Besitzer bzw. Nutzer auf sich?
Wenn man das Gemälde und die Abb. 056-2020 vergleicht bzw. das Gebäude kannte, wird klar, dass sich der Maler Carl Nonn einige künstlerische Freiheiten erlaubte, was die Lage des Gebäudes und die umgebende Natur betraf. Das Gebäude selbst ist akribisch dargestellt.
Genau dieser Umstand und die Tatsache, dass es kein Foto aus der Zeit vor 1945 gibt, macht das Gemälde aus historischer Sicht interessant aber auch widersprüchlich. Z. B. gibt es keinerlei Dokumente, welche die Authentizität der Firmenbeschriftung belegen.
Zwischen 1900 und 1903 ließ Hugo Hartwig (*1853, + 1942), ein Sohn des Fabrikanten Heinrich Hartwig (*1822, +1899), das Gebäude als Schneidemühle und Kistenfabrik errichten. 2) Die Kunden für seine Transportbehälter/Kisten dürften neben den beiden Glashütten und die zahlreichen Glasbläsereien in Gehlberg gewesen sein.
1930 taucht der Name Edwin Ludwig im Zusammenhang mit Fuhrunternehmen erstmals in der Gehlberger Chronik auf. Bevor er die Tischlerei der Hartwigschen Fabrik pachtete, hatte er auf der Post gearbeitet. 2)
Ludwig wohnte nicht in der Fabrik, sondern im Ort Gehlberg, in der Arlesberger Straße. Seine erste Frau starb leider jung. Aus dieser Ehe war eine Tochter hervorgegangen. (Deren Sohn war der Verkäufer des Bildes.)8)
17.04.1936 pachtete der Tischler Pfefferkorn aus Leipzig den Maschinensaal und Gatterraum der Hartwigschen Kistenfabrik. Er kooperierte mit Ludwig, der ja bereits die Tischlerei in Pacht hatte, bei der Herstellung von Küchenmöbeln.2)
1940 ging Pfefferkorn bankrott und verkaufte an Heinrich Meng.2)
Ein Schreiben Edwin Ludwigs vom 10.04.1943 an die Gemeinde Gehlberg erfolgte mit dem Briefkopf der Firma LUCO. Somit kann als gesichert gelten, dass Ludwigs Unternehmen weiterhin Bestand hatte.3)
Aus Edwin Ludwigs zweiter Ehe gingen 2 Söhne hervor. Der 1943 geborene Rainer hat bis heute (2023) Kontakt zu Peter Wagner.8)
Im Juni 1943 wurden 153 Bombengeschädigte aus Wuppertal, Düsseldorf, Hamburg, Berlin, Dortmund nach Gehlberg evakuiert.
Auch 1944 wurden weiterhin Menschen aus kriegsgefährdeten Gebieten nach Gehlberg gebracht. Diese wurden privat einquartiert. Unter diesen dürfte vermutlich auch der aus Bonn stammende Carl Nonn (*1876; +1949) gewesen sein. Es wurden aber auch Kriegs- und Zivilgefangene nach Gehlberg gebracht, darunter Russen, Ukrainer, Slowenen, Polen, Italiener, Franzosen, Flamen und Holländer. Bei 1100 eingetragenen Einheimischen betrug die Zahl der Fremden etwa 500.2)
Am 07.04.45 erschienen Kommandos in Gehlberg, welche alle Juden aus der Mengschen Fabrik abholten.
Zwei Tage später wird Gehlberg von den Amerikanern eingenommen. Knapp 3 Monate später, am 08.07.1945 gehen die Amerikaner, und die Rote Armee zieht ein.2)
Nach 1945 betätigte sich Edwin Ludwig als Fuhrunternehmer und beschäftigte als solcher 2 Angestellte (Ewald Adler aus Gräfenroda und Kurt Finzel aus Gehlberg), welche seinen Lkw „Phänomen“ fuhren.2) Finzel sorgte damals einerseits für Entsetzen, andererseits für Schmunzeln, weil der den „Phäno“ bei einer Bergauf-Fahrt – also beinahe im Schritttempo - oberhalb der Rebhahn-Kurve in den Rossbach-Hang fuhr. Jeder dachte sich seinen Teil.
Die Fabrik im Geratal findet im Schriftverkehr der Gemeinde Gehlberg in den Jahren 1946 4), 1947 5) und 1948 6) nur als „Meng & Co“ Erwähnung.
In der Firmenauflistung von 1950 steht, dass Mengs Firma von einem W. Schmidt übernommen wurde.7)
Edwin Ludwig ging 1953 mit seiner Familie in den „Westen“. Sein Haus wurde zum Kindergarten des Ortes umfunktioniert.2) Und die ehemals Hartwigsche Kistenfabrik wurde Mitte der 1950er-Jahre zum Erholungsheim und Kinderferienlager des RAW Halle/Saale.
Das Gemälde war damals in Gehlberg zurück geblieben. 1957 traute sich Ewin Ludwig mit Frau und Sohn Rainer in die alte Heimat. Und diesmal nahm er das Gemälde mit nach Krefeld. Entrahm und zusammengerollt wurde es hinter der rückwärtigen Sitzbank des VW-Käfer „versteckt“.
Nach dem Tod von Edwin Ludwig erhielt dessen Tochter aus erster Ehe das Gemälde. Deren Sohn verkaufte es 2023 bei Bares für Rares.8)
Es ist bedauerlich, dass Gehlberg nicht einmal eine Chance hatte, das Gemälde zu erwerben.
1) https://www.zdf.de/show/bares-fuer-rares/bares-fuer-rares-vom-3-november-2023-100.html . 15.11.2023
2) Chronik des Dorfes Gehlberg; Basis-Chronik 1645-1945
3) Stadt-/Kreisarchiv Arnstadt; Bestand Gehlberg . Bestand Gehlberg . lfd. Nr. 57-71
4) Stadt-/Kreisarchiv Arnstadt; Bestand Gehlberg . Bestand Gehlberg . lfd. Nr. 311
5) Stadt-/Kreisarchiv Arnstadt; Bestand Gehlberg . Bestand Gehlberg . lfd. Nr. 311
6) Stadt-/Kreisarchiv Arnstadt; Bestand Gehlberg . Bestand Gehlberg . lfd. Nr. 20
7) Stadt-/Kreisarchiv Arnstadt; Bestand Gehlberg . Bestand Gehlberg . lfd. Nr. 236
8) Telefonat mit Rainer Luwig . Sohn aus Edwin Ludwigs zweiter Ehe
Zeitzeugen: Günther Köllmer; Rainer Ludwig; Peter Wagner