24. Das Ende der Dorfglashütte (1874 - 1897)

Gemäß DSGVO veränderter Wortlaut der von K.-J. Schmidt erstellten Chronik
Nach dem Tod des Hüttenanteilbesitzers Friedrich Heinz erhielt dessen Tochter Lina (1896 – 1913) die 1801 wiedererbaute Mühle im Geratal und eine Schneidemühle am Ausgang des Schlagtales. (Konzession v. 10.9.1846 an Fr. Heinz und Nik. Wilh. Hartwig) Sie heiratete später den Lehrer (zeitweiligen Bürgermeister und Gastwirt der zu einem Restaurant umgebauten Mühle im Geratal) Ernst Möller (1846 – 1925).

Die zweite Tochter des Heinz wurde ausgezahlt. Anna (1847 – 1909), die dritte Tochter, war mit dem Stützerbacher Franz Schilling (1834 – 1916) verheiratet. Schilling hatte beim Eichamt in Petersburg (Petrograd; Leningrad) und den dortigen Universitätskliniken die Herstellung von Geräten zur Messung der Dichte von Flüssigkeiten erlernt. Aus Paris brachte er Kenntnisse über die Thermometer- und Leuchtröhrenherstellung mit. Er übernahm die Hüttenanteile seines verstorbenen Schwiegervaters und siedelte 1874 von Stützerbach nach Gehlberg über. Dabei brachte er 18 Apparatebläser von dort mit. Sein Glas ließ er in der Hütte herstellen, von der er ja Anteile besaß. Die Apparatebläser brachte er zunächst in einem Schuppen neben dem Greinerschen Hause oberhalb der Dorflinde unter.


Abb. 032
Franz Schilling (1834 - 1916) mit Familie 

1875 gründete auch der dritte Mitinhaber der Dorfglashütte, der ehemalige Lehnsträger Heinrich Hartwig, außerhalb der Hütte eine eigene Firma zur Herstellung von Laborgeräten. Damit war eine wichtige Änderung in der hiesigen Glasverarbeitung eingetreten.
In der Hütte stellten alle drei Besitzer Glas her. Jeder von ihnen besaß aber außerdem noch eigene Werkstätten zur Weiterverarbeitung des Glases. Waren früher fast nur Glaswaren für den allgemeinen Bedarf, also hauptsächlich Gefäße für Haushalte und Gaststätten produziert worden, so verlagerte sich das Schwergewicht nunmehr auf die Fabrikation von Geräten für Laboratorien und die chemische Industrie. Die Hütte erzeugte in zunehmendem Maße Glasrohre zur Weiterverarbeitung „vor der Lampe“.

1884 trat Heinrich Hartwig (1822 – 1899) seine Hüttenanteile ganz ab und widmete sich nur noch der Glasinstrumentenfabrikation. Seine Fabrik befand sich unterhalb der Hütte (Hauptstraße 37). ⇒(EA019) Weltkugel Foto

Die rasche wirtschaftliche Entwicklung um die Jahrhundertwende, die durch den 1. Weltkrieg ein jähes Ende finden sollte, wirkte sich auch auf unseren entlegenen Waldort aus. Gundelach erweiterte sein „Etablissement“, ließ hinter dem 1863 erworbenen Hause Peter Greiners (Hauptstraße 46) neue Gebäude errichten und 1885 eine Anlage zur Gewinnung von Gas aus Öl für seine Bläserei aufstellen. Ab 1886 betrieb er damit außerdem den ersten Gasmotor des Ortes, um Glühlampen herstellen zu können. Für ihn arbeiteten damals 25 Mann, für Schilling 22. In der von beiden gemeinsam betriebenen alten Glashütte waren 25 Lohnarbeiter beschäftigt.

035 Gundelachs EtablissementsAbb. 035

Gundelachs "Etablissements" im Jahr 1885
⇒(EA020) Weltkugel Foto

Emil Gundelach starb 1888. Er hatte 3 Söhne: Arthur (1852 – 1895), Eugen (1854 – 1928) und Max (1858 – 1939). Arthur Gundelach starb schon 1895 in einem Badeort. Die Todesursache wurde im Dorf nicht bekannt.
Eugen, der später Kommerzienrat wurde, führte das Geschäft mit seinem jüngeren Bruder weiter.
Max, der dritte Sohn Gundelachs, besaß zwar die zur Betriebsführung erforderlichen Eigenschaften, blieb aber ledig. Er war vielseitig interessiert und weitblickend. Mit den Arbeitern und den Dorfbewohnern verstand er sich gut. In Notfällen stellte er ihnen aus dem Betrieb Materialien kostenlos zur Verfügung.


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Max Gundelach (1858 - 1939)

 
Max Gundelach unternahm verschiedene Auslandsreisen und spürte dabei wertvolle Gläser, Waffen und Pflanzen auf. Diese Sammlungen sind leider verlorengegangen. Von seinem eigenen Seewasseraquarium ist ebenso wenig übrig geblieben, wie von der gleichartigen großen Anlage, die er der Gothaer Schule geschenkt hatte, in der er ausgebildet worden war. Erhalten haben sich nur einige Pflanzen und deren Nachkommen, die er aus Tibet und anderen Ländern mitgebracht und im (heutigen) Kurpark oder in der Ortsflur anpflanzen ließ.

Für das Hüttenwesen war Max Gundelach insofern von Bedeutung, als unter seiner Mitwirkung die ersten Röntgenröhren hergestellt wurden. Sie entstanden in seinem Betrieb in Gehlberg und nicht, wie heute fälschlicherweise zuweilen behauptet wird, in Stützerbach. Der umfangreiche Schriftverkehr mit dem Physiker Wilhelm Röntgen ist leider durch einen Granattreffer im 2. Weltkrieg zerstört worden.

Doch, kehren wir ins 19. Jahrhundert zurück!
In den neunziger Jahren (nachweislich schon 1878; Anm. R. Schmidt) gründete Emil Fleischhauer eine eigene Glasschleiferei (Hauptstraße 7, Hintergebäude) ⇒(EA021) Weltkugel Foto. Die Gundelachs besaßen damals noch keine Werkstätte dieses Fabrikationszweiges. Sein erster Arbeiter war der spätere Fleischer Erich Heinz. ⇒(Ergänzung 1878-001) Geschichte der Fa. Emil Fleischhauer Buch 

Die Gehlberger Glasinstrumente waren recht gut. Die Firmen Gundelach und Schilling konnten sich 1893 damit sogar auf der Weltausstellung in Chicago sehen lassen. Sie wurden schnell reich. Schon 1894 konnte sich Eugen Gundelach die geräumige Villa bauen lassen, in der sich heute die Gemeindeverwaltung befindet (Hauptstraße 41).⇒(EA1894-001) Foto

1895 wurden beide Betriebe erweitert. 1897 ließen die Gundelachs 4 Häuser zur Unterbringung ihrer leitenden Angestellten erbauen.

Am 5. November des gleichen Jahres gellte das Feuerhorn durch den kalten Winterabend: „Die Hütte brennt!
Das Feuer zerstörte nicht das ganze Gebäude, sondern nur das Dach. Trotzdem besiegelte dieser Brand das Schicksal des traditionsreichen Werkes.
 

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Am Abend des 5.11.1897 brannte das Dach der Hütte ab. Sie wurde 1898 abgerissen.1903 entstand an ihrer Stelle die Post.
 
⇒(EA022) Foto
Franz Schilling und die Gundelachschen Erben trachteten längst danach, völlig unabhängig voneinander produzieren lassen zu können. Sie ließen die Hütte nicht reparieren, sondern 1898 abreißen. Damit verschwand die „Hütt“ für immer aus dem Ortsbild. Sie war die Keimzelle Gehlbergs und über 250 Jahre lang Haupternährungsquelle seiner Einwohner gewesen.
Die Firmen Schilling und Gundelach ließen sich nun getrennt eigene Hohlglashütten mit Siemens-Regenerativ-Feuerung (auf Kohlebasis) errichten. Einen Teil der Bausteine für die Schillingsche Hütte lieferte Christian Moritz Greiner, der „auf dem Ritter“ einen Steinbruch besaß. Greiner, zeitweiliger Steuereinnehmer, Wirt und Kaufmann, verwaltet seit 1881 die Postagentur in seinem Hause (Hauptstraße 35). Franz Schilling wollte einen anderen Postverwalter im Ort haben. Schilling kaufte das Gelände der abgerissenen Glashütte und ließ darauf ein Haus bauen, welches er 1903 als Postamt verpachtete. Moritz Greiner schied nach 23-jähriger Tätigkeit aus dem Postdienst aus. Verwalter der neuen Post wurde ein gewisser Herbig (?).

037 GundelachhtteAbb. 037
1898 Bau des Generatorhauses und der Hohlglashütte Gundelachs
⇒(EA023) Weltkugel Foto
 
Hinsichtlich der in diesem Abschnitt verschiedentlich angeführten Mutmaßungen und Meinungen der Ortsbewohner über manche Vorgänge ist zu erklären, dass man solchen Gerüchten einen gewissen Wahrheitsgehalt nicht absprechen kann. Die wohlhabenden Kreise des kleinen Waldortes lebten nicht so abgeschieden von der übrigen Einwohnerschaft wie etwa die Unternehmer in den Städten. Man kannte sich gegenseitig recht genau aus der Zeit des gemeinschaftlichen Dorfglashüttenbetriebes. Auch nach der Umwandlung in einen Privatbetrieb war der Umgangston zwischen den neuen Lohnarbeitern und den zu Unternehmern gewordenen ehemaligen Mitarbeitern mehr als „familiär“, zuweilen sogar recht derb. Der Abstand vergrößerte sich aber in den nachfolgenden Generationen sehr schnell. War der alte Gundelach noch der „Emil“ gewesen, so wurde sein Sohn von den Einwohnern schon recht ehrfürchtig mit „Herr Kommerzienrat“ angeredet.
Um den Zusammenhang in der Darstellung der Ereignisse, die zum Ende der Dorfglashütte führten, nicht zu zerreißen, sind bei der Beschreibung der Entwicklung verschiedene Dinge übergangen worden, die nunmehr nachzutragen sind. Es handelt sich z. B. um den Anschluss an das Schienennetz der Eisenbahn, den Bau einer Wasserleitung, die Gründung der ersten Konsumgenossenschaft usw.

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