25. Bau der Eisenbahn (1879 - 1891)

Unveränderter Wortlaut der von K.-J. Schmidt erstellten Chronik
1835 wurde die erste Eisenbahn in Deutschland zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet. Das war der Beginn einer sehr raschen Entwicklung des Eisenbahnwesens in unserem Land. Schon in der Mitte des 19.Jahrhunderts konnte man in wenigen Stunden Entfernungen zurücklegen, für die man vorher Tage oder gar Wochen benötigt hatte.

Als nun 1877 der Bau einer Bahnstrecke nach Ilmenau genehmigt wurde, waren die Gehlberger – voran die Unternehmer des Ortes – sehr daran interessiert, dass die Arbeiten zügig voran gingen, damit in erreichbarer Nähe des Ortes endlich ein Bahnhof entstünde. Deshalb stellten 1878 die Fabrikanten Gundelach, Schilling und Hartwig je 300 Mark, die Gemeinde 600 Mark für den Bau der Strecke zur Verfügung. 1879 wurde sie dem Verkehr übergeben. Von nun an fuhren die Gehlberger Geschirre die für den Ort bestimmten oder von hier zum Versand kommenden Frachtgüter zwischen Gehlberg und den Bahnhöfen Plaue oder Elgersburg hin und zurück. So umständlich uns dies heute vorkommt; für die damalige Zeit bedeutete es einem großen Fortschritt. Noch in den sechziger Jahren waren die in Gehlberg hergestellten Gläser mit dem Schiebekarren bis nach Hessen gebracht worden. Auch nach der Übernahme der Hütte durch die drei in größerem Stil arbeitenden Fabrikanten mussten die Glaswaren mit Geschirren bis nach Erfurt, später bis nach Arnstadt transportiert werden. Da lag Elgersburg doch schon wesentlich näher! Man war ja an Bequemlichkeiten nicht sonderlich gewöhnt! So fuhr der Adalbert Greiner viele Jahre mit der Schiebekarre zum Elgersburger Bahnhof, um die Post für Gehlberg abzuholen. Im Winter nahm er dazu einen Hundeschlitten.

1879 konnte nach vielen Verhandlungen zwischen den beteiligten deutschen Teilstaaten ein Vertrag unterzeichnet werden, der den Bau einer Verbindungsbahn zwischen der preußischen Linie Berlin – Halle – Erfurt und den süddeutschen Strecken ermöglichte, Die größte technische Schwierigkeit dieses Unternehmens war der Bau des 3 km langen Brandleitetunnels. Da man hierfür etwa 3 Jahre Bauzeit rechnete, begann man mit den Arbeiten schon, ehe der Streckenverlauf in allen Einzelheiten völlig festgelegt war. Sowohl im Lubenbach als auch im Langebach bei Gehlberg entstanden ab August 1880 Holzschuppen, Materiallager, Wohnbaracken, maschinelle Anlagen für Dampf- und Wasserbetrieb sowie die dazugehörigen Sammelteiche.

042 KamerunAbb. 042
Relikt des Bahnbaus: Das "Kamerun" im Langerbach über dem nördlichen Tunneleingang
⇒(EA024) Weltkugel Foto
  
Zunächst wurde ein Voreinschnitt für den Tunnel angelegt und dann mit dem Bau eines Richtstollens begonnen. Für den Streckenbau musste natürlich bisher anderweitig genutztes Gelände gegen entsprechende Vergütung abgetreten werden. In Gehlberg betraf das 159 Ar Wiese, die 6 Einwohnern gehörten. Außerdem ging auch noch der Ertrag einiger vom Staat gepachteten Wiese verloren. Der jährliche Verlust an Futter für das Vieh des Ortes belief sich auf etwa 400 Zentner. Auch die Schneidemühle am Ausgang des Schlagtales musste 1882 abgerissen werden. Sie gehörte der ersten Frau des Mühlenwirts Ernst Möller. Dieser verstand es, durch geschicktes Prozessieren eine hohe Entschädigung für die Mühle herauszuschlagen und sich dadurch dafür schadlos zu halten, dass nunmehr seine sehr einträglichen Holzlieferungen für den Bahnbau entfielen. Möller hatte es gut verstanden, durch entsprechende Bewirtung einiger leitender Beamten des Bahnbaues ausgezeichnete Geschäfte zu machen, teilweise mit „Augenzwinkern“. Aber auch andere Gehlberger Einwohner hatten die Möglichkeit des Geldverdienens durch den Bahnbau rechtzeitig gewittert. Durch die vielen fremden Arbeiter, z. T. aus Polen, Böhmen und Italien, war die Einwohnerzahl des Ortes sprunghaft von 500 auf 1000, die der Schulkinder von etwa 100 auf 160 gestiegen. Im Langebach befand sich zwar eine Restaurationsbaracke des Butikers Wilh. Tonn, doch reichte sie für die vielen durstigen Kehlen nicht aus. Das Schnapsgeschäft blühte. Fanny und Hermine Schmidt, die Töchter des ehemaligen „Mühlenwirts“, verkauften im Geragrund Spirituosen und kleine Dinge des täglichen Bedarfs an die Bahnarbeiter und machten dabei glänzende Geschäfte.
Hermine heiratete später den Bäcker Julius Hartwig und eröffnete (im heutigen Hause Hauptstraße 30) einen Laden (später im Besitz von Lina und Ella Spindler).

Auch die anderen Gewerbetreibenden verdienten recht gut. Ab und zu nutzte man die mangelhaften Kenntnisse der Ausländer im Rechnen und dem Umgang mit deutschem Geld in wenig feiner Form für sich aus. Das ganze Treiben ähnelte oft den Verhältnissen in Amerika zur Zeit des Goldgräberrauschs. Streit, Schlägereien und Diebstähle waren an der Tagesordnung. Einmal wurde ein bayrischer Arbeiter umgebracht; das Skelett eines anderen Mannes fand man erst 50 Jahre später bei Arbeiten im Langebach. In den Gaststätten ging es zuweilen hoch her. Der Wirt des „Hirsch“, Brinkmann, wurde von Italienern bedroht und schoss einem von ihnen in den Hals. Er wurde freigesprochen, weil er in Notwehr gehandelt hatte. Dann brannte das Haus des Bürgers Pfeuffer (Hauptstraße 3) ab. Es kam zu einem langwierigen Prozess. Pfeuffer behauptete, die bei ihm wohnenden Ausländer hätten das Feuer in angetrunkenem Zustand durch Fahrlässigkeit verursacht. Diese stritten das ab und bezichtigten ihn der Brandstiftung. Zunächst sah es so aus, als würde er den Prozess verlieren. Erst nach einer Revision wurde er freigesprochen. Die Versicherung bezahlte aber den entstandenen Schaden nicht.
Auch der Pfarrer hatte Grund zu Klagen. Die Kirche wurde so schlecht besucht, dass er den sonntäglichen Nachmittagsgottesdienst ausfallen lassen musste. Mehr Interesse fand der Inhalt der Opferkästchen in der Kirche. Sie wurden aufgebrochen und beraubt.

Auf der Baustelle ereigneten sich mehrere Unfälle, z. T. mit tödlichem Ausgang (Schachtmeister Felsmann 1883).
Um Platz für die Trasse zu schaffen, mussten die alten Wege zum Teil verlegt werden. Der Langebachsweg wurde aus der Talsohle heraus etwas nördlich an den Fuß des Berges gerückt. Den Weg von Gehlberg in den Grund unterbrach der Bahndamm. Um ihn unter der Strecke hindurch führen zu können, durchstach man 1882 den dortigen Felsen und baute eine Unterführung. So entstand die unübersichtliche Kurve des Mühlwegs, die sich bei dem heutigen Verkehr als recht gefährlich erweist. Es ist interessant zu erfahren, dass diese Lösung schon damals heftig kritisiert wurde.

Die Bahnlinie wurde nicht gleich in ihrer ganzen Länge eröffnet. Der Tunnel war noch nicht fertig, da rollten 1882 schon Züge von Ritschenhausen nach Suhl. Dies war Veranlassung, den schon zu Beginn des Bahnbaues begonnenen Kampf um eine Haltestelle in Gehlberg wieder aufzunehmen. Zunächst hatte nämlich die Königl. Preußische Eisenbahnverwaltung auf beiden Seiten des Tunnels je einen Bahnhof errichten lassen wollen, war aber später wieder davon abgekommen. Sie plante nur noch einen Bahnhof für Oberhof. Die Eingaben der Gehlberger und der Gothaer Regierung beantwortete sie mit dem Vorwand, dass die Strecke bei Gehlberg für die Anlage eines Bahnhofes zu steil sei. Nach langen Verhandlungen überführte sie sich selbst der Lüge, indem sie dem Bau einer Weichenanlage zum Abhängen einzelner Waggons zustimmte. Nach 1882 nahm das Gothaer Ministerium die Verhandlungen mit Berlin wieder auf. Sowohl der Landtagsabgeordnete Polack als auch der Gothaer Staatsminister v. Seebach setzten sich für die Errichtung eines Bahnhofs in Gehlberg ein, um die Industrie des Ortes zu erhalten und den Abtransport der Hölzer der herzoglichen Domäne zu gewährleisten. Berlin lehnte jedoch ab und behauptete erneut, dass sich eine Haltestelle für fahrplanmäßige Züge überhaupt nicht einrichten ließe.

1883 war der Richtstollen des Tunnels geschlagen und dies Ereignis von allen beteiligten Arbeitern und Ingenieuren tüchtig gefeiert worden. Dann wurde der Tunnel ausgebaut und am 1.8.1884 konnte die ganze Strecke Erfurt – Ritschenhausen in Betrieb genommen werden. Die Züge waren mit viel Laub und Girlanden geschmückt, aber sie fuhren in Gehlberg ohne Halt vorbei!

040 Einladung RichtstollenfeierAbb. 040
Einladung zur Richtstollenfeier 1883
 ⇒(EA1883-001) Foto

038 Bau BrandleitetunnelAbb. 038
Arbeiten auf der Oberhofer Seite 

039 Brandleitetunnel fertigAbb. 039
Die gleiche Stelle nach der Fertigstellung: Bahnhof Oberhof und Tunneleingang 
   
Die Folgen für den Ort waren schlimm. Mit Beginn des Eisenbahnverkehrs hörte der Fuhrwerkverkehr über den Wald fast schlagartig auf. Waren bisher bei den überall gleich schlechten Verkehrsverbindungen auch nach Gehlberg Fremde zur Erholung gekommen, so wandten sie sich nunmehr den Orten zu, die mit der neuen Bahn bequem zu erreichen waren. Oberhof blühte auf, Gehlberg war abgeschnitten. Deshalb gingen die Verhandlungen weiter. Zunächst erreichte Minister Seebach 1886 die Einrichtung einer Haltestelle zur Be- und Entladung ganzer Waggons. Die Sache machte sich sowohl für die Bahn als auch für den Herzog von Gotha bezahlt, wurden doch in einem Jahre 70 Doppelwaggons mit Domänenholz und 15 Züge mit Bruchsteinen für das Bahnhofsgebäude in Erfurt hier verladen. Das machte die Bahnverwaltung zugänglicher. Sie ließ nämlich 1887 ein Dienst- und Wirtschaftsgebäude gleich soweit von den Gleisen entfernt errichten, dass genügend Raum für einen Personenbahnsteig blieb. Um das Gesicht zu wahren, wehrte sie sich aber weiterhin. Im Oktober 1889 gab sie den unbeschränkten Güterverkehr (also auch Stückgut) endlich frei. Damit war zunächst der Wirtschaft des Ortes geholfen.

Erst am 15. August 1891 wurde nach vielen weiteren Verhandlungen endlich der Personenverkehr eröffnet. Es war ein großer Tag für die Gemeinde. Die erwachsenen Einwohner hatten den Bahnhof festlich geschmückt. Die Schulkinder begrüßten den ersten in Gehlberg haltenden Personenzug mit Gesang. Das Walddorf war wieder mit der Zeit verbunden. Dem Fremdenverkehr stand nichts mehr im Wege.

041 Bahnhof GehlbergAbb. 041

(Foto ca. 1939)
Bahnhof Gehlberg
 
Freilich befand sich der Bahnhof etwas weit vom Ort entfernt. Man hätte es lieber gesehen, wenn er gleich unterhalb des Mühlweges angelegt worden wäre. Die Bahnverwaltung hatte das aber abgelehnt, weil dort angeblich die Züge nicht wieder anfahren könnten.
Der ehemalige Lehrer, Bürgermeister und Mühlenwirt Möller widerlegte diese Ausrede noch nachträglich. Als er einmal mit dem Zug aus Arnstadt kam, zog er am Mühlweg die Notbremse. Die Schaffner fanden natürlich den Übeltäter bald. Während der Zug sich wieder in Bewegung setzte, zahlte Möller befriedigt lächelnd seine Strafe und sagte: “Ich wollte euch nur beweisen, dass die Bahnverwaltung gelogen hat! Der Zug kann ganz gut hier wieder anfahren, wie ihr seht!“ (Noch heute ist der „Mühlweg“ zuweilen ein „illegaler Gelegenheitsbahnhof“. Wird nämlich im Bahnhof ein Zug aus Richtung Oberhof erwartet und ist die obere Weiche entsprechend gestellt, so erhalten von Arnstadt kommende Züge keine Einfahrt und halten am Mühlweg. Diese Gelegenheit nützen jüngere Gehlberger Einwohner und steigen rasch aus. Die durchaus berechtigten Drohungen des Bahnpersonals wegen der Lebensgefährlichkeit eines solchen Tuns nehmen sie lachend in Kauf, sparen sie doch etwa 10 Minuten Weg.)
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.