Gemäß DSGVO geänderter Text
Die Gründung des ersten Konsums fiel in die Zeit der Sozialistengesetze. Nach deren Aufhebung im Jahre 1890 zeigte sich, dass die Sozialisten nicht schwächer, sondern stärker geworden waren. Deshalb wurden Unterdrückung und Diskriminierung mit anderen Mitteln fortgesetzt. Schon bei den Musterungen zum Militärdienst wussten sich die Rekrutierungsoffiziere von „patriotischen Kreisen“ des Ortes Auskunft darüber zu verschaffen, welche Dienstpflichtigen „rot“ waren oder aus Kreisen stammten, die den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen kritisch oder ablehnend gegenüber standen. Einige Angestellte der hiesigen Unternehmen leisteten hierbei schmutzige Denunziantendienste. Die Angehörigen sozialdemokratischer Familien hatten beim Militärdienst zuweilen erhebliche Schikanen auszuhalten. In manchen Kompanien war es üblich, die Namen solcher „unsicheren Elemente“ bzw. „vaterlandslosen Gesellen“ durch rote Punkte in den Mannschaftslisten kenntlich zu machen. Diese und andere Maßnahmen konnten jedoch die Entwicklung nicht aufhalten. Ein beredtes Zeugnis dafür sind die Wahlergebnisse jener Zeit.
Bei der Landtagswahl von 1893 hatten sich in Gehlberg die abgegebenen Stimmen folgendermaßen verteilt:
- Rudloff nationalliberal 28
- Heller deutschfreisinnig 30
- Bock sozialdemokrat. nur 21
Der Gehlberger Gewerksverein wurde damals aufgelöst.
Schon bei der wegen des reaktionären Wahlgesetzes als „Hottentottenwahl“ bezeichneten Abstimmung von 1907 führte
- Wilhelm Bock (SPD) mit 112 weit vor
- Prinz Hohenlohe mit nur 71 Stimmen.
(Die Einwohnerzahl war inzwischen auf 1001 gestiegen; deshalb die erhöhte Gesamtstimmenzahl.)
Die Landtagswahl von 1912 erbrachte schließlich für
- Wilhelm Bock (SPD) 148,
- für alle anderen Kandidaten zusammen nur 61 Stimmen.
Diese Entwicklung ging nicht reibungslos vonstatten. Das Niveau der Auseinandersetzungen war unterschiedlich, zum Teil recht niedrig. So nahmen Anhänger bürgerlicher Parteien den Namen des sozialdemokratischen Abgeordneten (Anm. R. Schmidt: gemeint war Wilhelm Bock) zum Anlass, dessen Anhänger mit „Mäh-Rufen“ zu verärgern. Als anlässlich der „Hottentottenwahlen“ sozialdemokratische Arbeiter auf dem Wege zu einer Versammlung am Laden des Moritz Greiner vorüber gingen, provozierte sie dessen Sohn Leopold mit dem bekannten „Mäh-Mäh“! Es kam zu einem Wortgefecht, in dessen Verlauf die Sozialdemokraten dem Bürgerlichen zusicherten, dass sie ihm das „Mähen“ schon austreiben würden. Dies geschah nicht nur durch das für sie so erfolgreiche Wahlergebnis; sie fanden auch im Nu 40 Mitglieder für eine neue Konsumgenossenschaft.
Diese wählten:
1. Vorstand Fritz Wiegand II
2. Vorstand Ernst Griebel (Kontrolleur)
3. Vorstand Hugo Machalett, genannt das „Schneiderle“, (Kassierer)
- Aufsichtsrat Albert Machalett, Hugo Greiner I, Hugo Heinz (der „klä Schorsch“), Hermann Schmidt, Ernst Hartwig
- Protokollführer Otto Hartwig II (der „Zammt“)
- Lagerist August Schleicher, der Räume in seinem Haus (Hauptstraße 36) zur Verfügung stellte
Diesmal hatten die Genossenschafter einen zuverlässigen Lageristen. August Schleicher arbeitete bis 1931 aktiv und blieb dem Konsum treu, bis er 1961 94jährig starb.
Albrecht Machalett musste als Aufsichtsratsmitglied ausscheiden, weil er 1908 Bürgermeister wurde. An seine Stelle rückte der „klä Schorsch“ auf.
Obwohl die Voraussetzungen für die Gründung ausreichten, wartete man doch, bis die Mitgliederzahl auf 60 gestiegen war und eröffnete den neuen Konsum am 20.4.1907 im Haus des August Schleicher (Hauptstraße 42) ⇒(EA028) , also gegenüber dem Lädchen Greiners.
Angeleitet wurde die Genossenschaft durch den Leiter des Gräfenrodaer Konsums, den ehemaligen Holzhauer Schmidt.
Abb. 048 August Schleicher |
Abb. 046 Genau gegenüber dem neuen Konsum befand sich Moritz Greiners Laden und Postagentur, Hauptstraße 35 |
Nach dem 1. Weltkrieg versahen Hugo Heinz, Hugo Wagner und Hugo Machalett den Vorsitz. 1918 erwarb die Genossenschaft das „Stötzer-Haus“ (Hauptstraße 28) durch den Vertrieb von Anteilsscheinen im Werte von je 100 Reichsmark unter den Mitgliedern.
Abb. 047 Der Konsum Hauptstraße 28 (Stötzer-Haus) ⇒(EA029) |
1921 wurde der Gehlberger Konsum als Verkaufsstelle 60 in den Verband „Volkskraft“ übergeführt. Es leiteten ihn Albrecht Machalett („der Bergschulz“), Franz Weiß und Edmund Wiegand. Letzterer wurde in den Erfurter Aufsichtsrat delegiert.
Abb. 049 A. Schleicher (links) |
Abb. 050 Lisbeth Möller, Ella Günther, Martha Weiß |
Gegen den offenen und hinhaltenden Widerstand der Genossenschafter führten die Nationalsozialisten 1941/42 alle Konsumvereine in die sogenannte „Arbeitsfront“ über. Diese Vergewaltigung der von Arbeitern gegründeten Institutionen war nicht von Dauer. 1945 brach das dritte Reich zusammen. Die Konsumgenossenschaften erstanden wieder, diesmal mächtiger als je zuvor.
Der zweite Gehlberger Konsum hatte folgende Verwalter:
- Schleicher
- Schwabe
- Vogelsberg
- Ella Günther
- Anton Deeg
Leopold Greiner starb noch 1907 im Alter von nur 36 Jahren. Seine Witwe Lydia kaufte das gegenüberliegende Haus (Hauptstraße 40) ⇒(EA030) und eröffnete darin einen kleinen Laden. Das bisherige Greinersche Geschäft übernahm Leopolds Bruder Arthur und baute es zu einer Bäckerei um.