Gemäß DSGVO geänderter Text
Vor dem Bau der Eisenbahn hatte Gehlberg etwa 500 Einwohner. Viele von ihnen lebten in ziemlich bescheidenen Verhältnissen und konnten sich nicht viel kaufen. Sie waren deshalb bestrebt, sich mit möglichst vielen lebensnotwendigen Dingen selbst zu versorgen. Das ließ sich durchführen, weil fast jeder Haushalt über ein Stückchen Feld oder Wiese verfügte. Es gab in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast 100 Rinder und noch mehr Schweine im Ort. (Der Rinderbestand wuchs in den neunziger Jahren auf über 120 Stück an und ging dann wieder zurück. Die Zahl der Schweine stieg weiter an und erreichte 179 Stück im Jahr 1913.)
Wer wenig oder gar kein Land besaß, hielt sich ein paar Hühner oder eine Ziege. Typisch für die Tendenz zur Selbstversorgung waren die vielen Backöfen. Hier ihr Verzeichnis von 1870/72:
Ludwig Schuck, Gastwirt | in der Gaststube |
Heinrich Hartwig | in der Wohnstube |
Karl Kühn | auf der Wohnungstreppe |
Moritz und Richard Machalett | bei Richard in der Stube |
Hermann Heinz | vor der Wohnung des Ernst Machalett |
Ferdinand Bachmann | am Fenster |
Moritz und Christian Friedrich Greiner | im Kramladen des Moritz |
Adolf Seeber | vor dem Hause |
Heinrich Eckardt | vor dem Hause |
Friedr. u. Aug. Greiner | im Garten |
Emil Wiegand | Wohnung |
Franz Heinz | Wohnung |
Friedr. Heinz | Hausflur |
Schulvorstand | Hausflur |
Robert Greiner | vor dem Hause seines Schwiegervaters |
Emil Gundelach | vor dem Hause |
Friedr. Hartwig | Lohnbackofen - vor dem Hause |
Berta Stötzer | im Hausflur |
Aug. Heinz | in der Wohnstube |
Adolf Greiner | im Hausflur |
Hermann Hartwig | am Fenster |
Theodor Wagner | am Fenster |
Ludwig Schmidt | am Fenster |
Heißner | im Hausflur |
Karl Machalett | am Fenster |
Carl Heinz | am Fenster |
Louis Fleischhauer | am Fenster |
Gustav Schmidt | am Fenster |
Wilhelm Heinz | am Fenster |
Friedr. Greiner Jun. | im Hausflur |
Friedr. Heinz (Glasmeister und Schneidemüller) | im Hausflur |
Adolf Schmidt (Mühlenwirt) | in der Wohnung |
Theodor Holland (Zimmerer) | in der Schneidemühle |
Paul Eckstein (Zimmerer) | in dessen Schneidemühle |
Abb. 074 Bachmanns Haus oberhalb der Kirche ⇒(EA026) |
Wie man sieht: Ein Bäcker konnte sich in Gehlberg seinen Lebensunterhalt nicht verdienen. Einen Fleischer brauchte man nur für die Hausschlachtung. Dinge, die relativ selten gebraucht wurden, ließ man sich von den Glashändlern oder Fuhrleuten aus anderen Orten mitbringen. Nur regelmäßig benötigte Gegenstände erwarb man gern im Ort selbst. Hierzu genügte es, wenn sich ein „Mitnachbar“ (Ausdruck für einen Ortsansässigen, mit Heimatrecht) nebenberuflich mit Kramwarenhandel beschäftigte oder ambulante Händler regelmäßig in den Ort kamen (1826 die „Hökerkrämerin“ Elisabeth Craemer, bis 1870 ihre „Berufskollegin“ Maria Heergesell).
Diese Verhältnisse änderten sich schlagartig, als durch den Eisenbahnbau 500 Arbeiter, z. T. mit Familienangehörigen, nach Gehlberg kamen. Die Leute konnten durch die Barackenkantine im Geragrund nicht ausreichend versorgt werden. Die jüngeren von ihnen, besonders Junggesellen, waren außerdem teilweise recht großzügig im Geldausgeben. Kein Wunder, wenn sich schnell Ortsansässige fanden, die aus der plötzlichen Geldschwemme zu schöpfen verstanden! Der Kramwaren- und Schnapshandel blühte. Moritz Greiners Lädchen florierte, wie nie zuvor. Nicht nur Kleinkram, Tabak und Branntwein wurde er spielend los, er brutzelte auch Pfannkuchen für die Bahnarbeiter.
Nach der Beendigung des Bahnbaues und dem Abzug der meisten Arbeiter kehrte die alte Ruhe nicht wieder in das Glasmacherdorf zurück. Es hatte sich entwickelt, Bedürfnisse waren geweckt worden. Außerdem machte sich bemerkbar, dass nach der 1858 erfolgten Reduzierung des Glashüttenbesitzes auf nur 3 Teilhaber ein kleines Proletariat im Ort entstanden war, welches von Jahr zu Jahr wuchs. Diese Leute erinnerten sich recht gut an die nicht einwandfreien Geschäftspraktiken derjenigen, die während des Bahnbaues durch den Handel zu Geld gekommen waren und fanden sich nicht bereit, deren Reichtum zu mehren. Nicht ohne Einfluss auf die Gesinnung der Glasarbeiter waren die Sozialistengesetze. Die Unterdrückung fortschrittlicher Regungen und die Herabwürdigung des Proletariats stärkte dessen Zusammengehörigkeitsgefühl. Hinzu kamen rein materielle Gründe. Man glaubte billiger einkaufen zu können, wenn man den Handel in eigene Hände nahm und die Krämer nicht davon profitieren ließ. Deshalb schloss man sich zu einer Konsumgenossenschaft zusammen. Leider besaßen sie Genossenschafter weder Geschäftsräume noch Ladeneinrichtung. In dieser Situation wählten sie den Edmund Greiner als Lageristen, der Mitinhaber des geräumigen Hauses hinter der Dorflinde war. 1886 wurde der „Konsum“ eröffnet.
Abb. 044 Der erste Konsum (1886 - 1894) befand sich hinter der Dorflinde. ⇒(EA027) |
Die Mitglieder waren eifrig bei der Sache. Waren, die nicht billig durch Geschirre nach Gehlberg gebracht werden konnten, holten sie notfalls auch im Rucksack herbei. Die Rechnung schien aufzugehen. Schon nach 4 Monaten konnten 10% Dividende ausgeschüttet werden! Die Sache hatte aber einen Haken. Während die meisten Genossenschafter Arbeiter oder wenig begüterte Einwohner des Ortes waren, gehörte der Lagerist Greiner der wohlhabenden Schicht an. 1894 kündigte er plötzlich die Lagerräume und brachte den Konsum unter Mithilfe von Fritz Wiegand I zur Liquidation. Nach der Auflösung eröffnete er das Geschäft wieder als eigenes Privatunternehmen. Das Bürgertum Gehlbergs triumphierte und verfasste ein Pasquill, in dem es heißt: “Die Leute vom Konsum sind dumm, dumm, dumm! Wärn`n sie nicht so dumm, hätt`n sie noch`n Konsum sum, sum!“
Abb. 045 Oben: E. Greiner mit Frau Links darunter: Olga Stötzer Unten von links nach rechts: Ottilie Gundelach, geb. Hartwig; Margarete Eifel, geb. Hartwig (Kind); Meta Hartwig, geb. Zink; Änne Gundelach, geb. Hartwig (erhöht) |