[Anhang 5] Kirchliches

Gemäß DSGVO überarbeiteter Wortlaut des K.-J. Schmidt 


Die Gründer Gehlbergs hatten bei ihren Verhandlungen um die Genehmigung zum Bau der Glashütte „vornehmlich“ darum gebeten, dass sie vor allen Dingen „an einem gelegentlichen Ort ihr Kirchspiel haben, die Predigt hören und das heilige Abendmahl nach tröstlich empfangener Absolution haben könnten“. Diesen frommen Wunsch äußerten sie aber hauptsächlich deshalb, weil sie die sehr gläubige Gesinnung Herzog Ernst, „des Frommen“, wohl kannten und durch Anfügen solcher Bitte eine wohlwollende Behandlung ihres eigentlichen Anliegens erhofften. Nachdem sie die Gründungsgenehmigung und die anderen im Lehnsbrief zugesicherten Rechte erhalten hatten, machten sie sich mit Eifer an die Arbeit und trugen nun offensichtlich kein sonderliches Verlangen mehr nach der vorher so dringend gewünschten inneren Erbauung.

Ab und zu soll man einige von ihnen in der Geschwendaer Kirche gesehen haben. Es bedurfte aber erst eines herzoglichen Befehls, damit sie an einem Sonntag im Herbst 1646 nach Gera (Anm. R. Schmidt: „Gera“ ist die umgangssprachliche Verkürzung der Ortsbezeichnung für „Geraberg“) gingen und sich dort einpfarren ließen. Danach ließen sie sich allerdings ziemlich selten in der dortigen Kirche sehen, denn der schlechte Pfad, der über Steine und Geröll hinab in das Tal der Zahmen Gera und von dort über Arlesberg zur Kirche in Gera führte, war über 7 km lang.

Ab 1671 besaß Gehlberg Schulmeister, die in den ersten Jahren häufig wechselten. Es waren meistens Vikare, die auch Lesegottesdienste und Andachten reihum in den Häusern des Ortes halten mussten. Hierdurch entfiel für die Hüttenleute zwar der beschwerliche Kirchgang nach Gera, doch führten die Unzulänglichkeiten dieser Regelung, die mangelhaften Fähigkeiten mancher Vikare und die Zwistigkeiten der Bürger untereinander nicht zu einem guten Besuch dieser Veranstaltungen. Eine geringe Besserung trat 1683 ein, als der sehr tüchtige „Praezeptor“ Johann Hartwig in den Ort kam und sesshaft wurde. Er musste 1722 wegen Erblindung pensioniert werden und starb 1724 völlig verarmt. Die späteren Schulmeister wurden ebenfalls fast alle im Ort ansässig. Trotzdem war es auf die Dauer nicht tragbar, sowohl schulische als auch kirchliche Veranstaltungen in den zum Teil recht primitiven Behausungen der Dorfbewohner stattfinden zu lassen.

Ab 1717 wurden deshalb nach einem vergeblichen Gesuch des Bürgermeisters Joh. Greiner an das Oberkonsistorium um Geld für einen Kirchenbau regelmäßig Sammlungen anlässlich kirchlicher Feiern veranstaltet, die innerhalb eines Jahres 200 Gulden erbrachten. Nunmehr war das Konsistorium dem Vorhaben endlich wohl gesonnen – jedoch wusste es der Pfarrer Treiß aus Gera mit allen Mitteln zu hintertreiben. Erhielte nämlich Gehlberg eine Kirche ohne eigenen Pfarrer, so hätte Treiß statt der Schulmeister selbst dort predigen müssen. Er hasste aber den beschwerlichen Weg „nach der Glashütten“, der ihn in „Leib- und Lebensgefahr“ bringen konnte. Außerdem hätte er dann das wohlhabende Dorf Angelroda nicht mehr mitbetreuen dürfen und damit das Korn eingebüßt, das er von dort für seine Tätigkeit bekam. Erhielte jedoch Gehlberg zu einer eigenen Kirche auch einen eigenen Pfarrer, so verlöre Treiß die Abgaben, welche die Gehlberger an ihn zu entrichten hatten (obwohl ja die Schulmeister für ihn die kirchlichen Geschäfte im Ort erledigten). Erst als Pfarrer Treiß 1748 starb, erhielten die Glasmeister endlich die Genehmigung zum Kirchbau unter der Bedingung, dass sie die Pfarrerbesoldung garantierten und keine auswärtigen Personen im Orte ansässig werden ließen.
Am 16.10.1749 wurde der Grundstein zur Kirche gelegt. Bei dieser Gelegenheit ermahnte Amtmann Kunkel die Gemeindemitglieder, dass sie nun „künftig auch fleißig Gottes Wort hören und den Sonntag nicht mit Vogelfang und Fischen verbringen sollten, wie bisher“. Die Gerügten richteten sich aber nicht sehr nach diesen Worten, fand der Kirchbau doch in einer sehr ungünstigen Zeit statt. Wegen Holzmangels war die Glaserzeugung und damit die Möglichkeit des Broterwerbs immer mehr zurückgegangen. Schließlich mussten die Männer einen wenig rentablen Hüttenbetrieb in Manebach durchführen. Zuhause lag die Hütte still. Frauen, Kinder und die alten Leute mussten mit hungrigen Mägen die notwendigen Arbeiten tun. Da schien ihnen sonntags Vogelfang und Fischerei oft wichtiger als der Kirchgang.
Der Bau dürfte 1751 vollendet worden sein. Dies lässt sich aus der Wetterfahne und einer Dachdeckerrechnung schließen. Nur das Türmchen besaß ein Schieferdach, sonst war das Gebäude mit Schindeln gedeckt. Eine Tafel an der Südwand kündet uns, dass die Kirche unter der Bauherrschaft des Schultheißen Nikol Hartwig von dem Maurermeister B. E. Thomas und dem Zimmermann S. P. Franck errichtet wurde. Der Glasschneider Martin Orban, der als Kirchrechnungsführer die noch erhaltenen kunstvoll geschriebenen Abrechnungen angefertigt hatte, trat sein Haus ab, damit Platz für Kirche und Friedhof geschaffen werden konnte. Er schenkte auch den Taufstein, Hostienbehälter und Abendmahlskelch. 1754 baute man eine einfache Orgel ein, die aus der Kirche in Gossel stammte. Bemerkenswert ist, dass Kirchengebäude und Friedhof in Gehlberg immer der politischen Gemeinde gehörten und nicht der evangelischen Kirche. Reparaturkosten usw. wurden je zur Hälfte von der Kirche und von der politischen Gemeinde getragen.

Der erste Pfarrer im Ort, Wilhelm Gottfried Müller aus Ballstedt, trat sein Amt am 19.4.1754 an. Am 19.7.1758 heiratete er die Tochter Johanna Charlotte Friederica des „Handelsmannes und Ratsmitgliedes“ zu Ilmenau, Johann Michael Greiner. Das war der Sohn des Gründers der oberen Hütte von 1714. Müller verließ Gehlberg 1765 und erscheint ab 1778 als Pfarrer in Gossel, wo er 1793 starb. Pfarrer Müller legte ein Kirchenbuch an, das Tauf-, Trauungs- und Sterbedaten enthält. Er verwendete dazu Aufzeichnungen der Schulmeister und Angaben aus Gera.
Es beginnt mit dem Hinweis auf die Einpfarrung in Gera. Schon die erste Eintragung appelliert an die menschliche Nachsicht und nötigt dem Leser ein Lächeln ab; „Anno 27.7ber (d. h. September) 1646 Filius inhonesto thoro natus …“, eine Bemerkung, die sich in anderer Form bei gar vielen späteren Taufen und Hochzeiten wiederholt. Obwohl nicht in allen Fällen vollständig und zutreffend, ist das Buch eine wertvolle Quelle für den Forscher.

Bald ergaben sich Schwierigkeiten hinsichtlich der Pfarrerbesoldung. Der ärmliche Waldort konnte in den Notzeiten, die sich aus Missernten und der schlechten wirtschaftlichen Lage infolge der Kriege des 18. Jahrhunderts ergab, nicht Pfarrer und Lehrer gleichzeitig mit Unterhalt versorgen. Man kam deshalb überein, dass der Pfarrer künftig auch den Schulunterricht mit übernehmen und dafür das Schulmeistergehalt nebst einigen Zulagen bekommen sollte. Hierzu musste aber erst das Ableben des amtierenden Schulmeisters abgewartet werden. Dieser lebte aber noch sehr lange! So kam es, dass die Pfarrer hier oben wesentlich weniger verdienten als ihre Amtsbrüder in den Dörfern des flachen Landes und sie deshalb ihren Dienst auch nicht immer sonderlich freudig versahen. Aufschluss über die Lage der Gemeinde geben uns die Bitten des Pfarrers Georg Ludwig Hochgesang um Versetzung aus Gehlberg. Er schreibt, dass „bei seinen Beichtkindern nichts vorhanden und diese Leute größtenteils unvermögend sind, sich nur vor zwei Groschen Brot zur Erquickung zu kaufen, da sie über vier Wochen lang dargleichen nicht gesehen, sondern Erdäpfel ihre tägliche Kost, welche aber nicht bis Weihnachten reichen werden …“, ferner: „Sie … in den armen Waldhütten ihrem Tode durch Hunger gefördert entgegensehen müssen, weil Zufuhr mangelt, der Wert (d. h. Preis) der Lebensmittel täglich höher steiget …“. Abgesehen von den nicht direkt als Folge von Unterernährung erkennbaren Sterbefällen verzeichnet das Kirchenbuch damals 3 Todesfälle durch regelrechtes Verhungern, davon 2 Säuglinge. Einer davon wurde von der Mutter, die 2 Monate danach selbst starb, eigenhändig begraben, weil sie kein Geld für eine Bestattung besaß. Später wurde befohlen, die Toten nackt in die Särge zu legen, weil die Hinterbliebenen jedes Kleidungsstück selbst dringend benötigten.
Pfarrer Hochgesang selbst verlor 1773 nach einer vierteljährigen Ehe seine Frau kurz nach der Geburt eines Kindes. Sie wurde zusammen mit ihrem Kind in einem Sarg begraben.

Auch die folgenden Pfarrer Gehlbergs schilderten in Bittschriften ihre ungünstige wirtschaftliche Lage und suchten um Versetzung in ergiebigere Pfarreien nach. Von den acht Geistlichen, die von 1754 bis 1814 in Gehlberg lebten, starb nur einer im Ort (Wilhelm Rudolf Hülsemann). Aber auch er war nur zwei Jahre hier tätig gewesen.

Nach 1814 fand sich überhaupt kein Pfarrer mehr, der in das arme Glasbläserdörfchen ziehen wollte. Deshalb sollte fortan der jeweilige Geraer Pfarrer alle drei Wochen in Gehlberg predigen und auch die hiesigen Taufen, Trauungen und Beerdigungen vollziehen. Diese Regelung wurde zur Ursache ständiger Unannehmlichkeiten und begann gleich mit höchst unliebsamen Dingen.

Pfarrer Kohlhardt aus Gera ließ sich nämlich zunächst zwei Jahre lang überhaupt nicht „auf der Glashütten“ sehen. Als ihm die Gehlberger trotz völligen Versäumnisses seiner Amtspflicht 1816 die jährliche Besoldung von je 20 Talern übersandten, lehnte er die Annahme ab. Er tat dies nicht etwa, weil er sich dieses Geld ja gar nicht verdient hatte, sondern weil ihm die Bezahlung zu gering erschien! Nun wurden die Glasmeister in Zella vorstellig. Das Amt lud den Pfarrer und den Gehlberger Schulzen zu einer Verhandlung vor. Als Kohlhardt nicht erschien, befahl der Herzog dem Geistlichen unter Androhung von 5 Talern Strafe, innerhalb von drei Wochen einen Tätigkeitsbericht einzureichen. Pfarrer Kohlhardt kam aber seinen Verpflichtungen auch weiterhin nicht nach und lieferte den verlangten Bericht sogar erst 1818, Darin forderte er Erhöhung der Besoldung um 80 Taler, für jeden Gang nach Gehlberg einen Begleitboten und freie Verpflegung. Das Schulprotokoll von 1820 weist nach, dass er seit 1814 keinen Katechismusunterricht erteilt, keine Seelenregister mehr geführt und auch andere Dinge vernachlässigt hatte. Außerdem waren die Gehlberger Kinder den beschwerlichen Weg nach Gera häufig umsonst gegangen, weil Kohlhardt den Konfirmationsunterricht einfach ausfallen ließ. Das Oberkonsistorium jedoch erwies sich als ebenso langmütig wie das Untergericht. Es erhöhte sogar die Entschädigung des säumigen Pfarrers auf Kosten der Gehlberger Gemeinde um das Dreifache (!) und versprach, seine anderen Wünsche ebenfalls zu erfüllen, soweit das möglich sei. Er verlangte:

- jedes Jahr ein Glas als Geschenk,
- freie Speisung im Ort,
- zur Kirmes einen Taler extra,
- in Gehlberg einen Stall und Heu für sein Pferd,
- Erhöhung der Besoldung auch in Gera,
- Erhöhung der Accidentien in Gehlberg, wenn dies in Gera geschehe.
Die Kirchenbücher sollten außerdem nach Gera gebracht werden.
Nach langen Kämpfen erreichte die Gemeinde schließlich im Jahre 1826, dass ihre Pfarrgeschäfte vom Gräfenrodaer Pfarrer Schneegas übernommen wurden.

Pfarrer Kohlhardt wurde 1827 endlich wegen „ärztlich ermittelten gemütskranken Zustandes“ dispensiert. Von 1828 an wurde Gehlberg durch den neuen Geraer Pfarrer Seeber kirchlich versorgt. Der Schaden, den Pfarrer Kohlhardt, das geistliche Untergericht und das Oberkonsistorium angerichtet hatten, war jedoch nicht so leicht wiedergutzumachen.

1851 wurde der 100. Jahrestag der Vollendung des Kirchenbaues feierlich begangen. Aus diesem Anlass erhielt die Kirche zahlreiche Geschenke von den wohlhabenderen Bürgen des Ortes.

In den folgenden Jahren wurden mehrere Maßnahmen notwendig, die den Verantwortlichen des Ortes Schwierigkeiten und Sorgen bereiteten. Zunächst erhielt die Kirche 1857 als erstes Gebäude des Ortes einen Blitzableiter. Dann musste die alte Orgel durch eine bessere ersetzt werden. Um die Bälge hierfür unterbringen zu können, machte sich ein Anbau an der Westseite erforderlich (der heutige Eingang).

1859 war das alte Schindeldach so schadhaft geworden, das ersetzt werden musste. Man entschloss sich, es ebenso wie den Turm mit Schiefern zu decken.

Im gleichen Jahre zersprang die größere der beiden Glocken, als sie – der Sitte gemäß – bei einem Kirchengang dreimal angeschlagen wurde. Unter Zugabe der zersprungenen und der kleinen Glocke stellte der Glockengießer Robert Meyer in Ohrdruf zwei neue Glocken her. Sie wogen 151 und 253 Pfund und wurden im September 1861 eingeweiht.

1862 reichte der Friedhof nicht mehr aus. Es mussten „dreiundzwanzigeinhalb Quadratruten“ Land dazu erworben werden.

Es ist uns heute kaum verständlich, dass man den schlecht genährten Gehlberger Kindern zumutete, den beschwerlichen Weg zum Konfirmandenunterricht nach Gera zu gehen, den Weg also, den verschiedener Geraer Pfarrer ängstlich gescheut und tüchtig gehasst hatten, obwohl sie ihn mit Pferd und Wagen zurücklegen konnten. Zur Illustration der Schwierigkeiten dieses Weges sei zunächst ein Vorfall geschildert, der wegen seines harmlosen Ausganges belustigtes Schmunzeln bei den Glasmachern hervorrief:
In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts musste der Elgersburger Fuhrmann Röder den dortigen Pfarrer Dr. Hanne zuweilen sonntags zur Predigt nach Gehlberg fahren. Im Winter benutzte er dazu einen leichten Pferdeschlitten. Der Geistliche saß während der Fahrt fest vermummt hinter dem Kutscher, das Gesicht im hochgeschlagenen Kragen seines Pelzmantels eingehüllt, die Hände in einem großen Muff vor der Kälte verborgen. So gelangte er eines Sonntags wieder an der Steigung vor Gehlberg an. Hier waren die Schneewehen besonders hoch. Um hindurchzukommen, gab der der Kutscher seinen Pferden die Peitsche. Als er in Gehlberg einfuhr, fragten ihn die Einwohner, warum er denn den Pfarrer nicht mitgebracht hätte. Röder erschrak. Schnell alarmierte man die zufällig in der Schule (heute Hauptstraße 50) versammelten Kinder, damit sie den verschwundenen Pfarrer suchten. Sie entdeckten dann auch am Hang unterhalb des Berges ein paar Beine, die sich nur noch matt bewegten. Doktor Hanne war bei der ruckartigen Überquerung der hohen Schneewehe hinterrücks aus dem Schlitten gekippt und – mit dem Kopf nach unten – in dem tiefen Schnee stecken geblieben, so dass er sich nicht selbst befreien konnte. Er war dem Ersticken nahe und vermochte an diesem Tage nicht seines Amtes zu walten.

Die Gefahren, die der Weg nach Gera in sich barg, waren also hinreichend bekannt. Es waren ja schon ermattete Erwachsene dort erfroren aufgefunden worden. Trotzdem mussten die Kinder nach wie vor nach Gera zum Konfirmandenunterricht. Schließlich kam es 1891 zu einem bedauerlichen Unfall.
Drei Konfirmanden befanden sich bei sehr schlechtem Wetter auf dem Rückweg nach Gehlberg. Vor dem Gasthaus in Arlesberg stand ein Pferdegeschirr mit voraussichtlicher Fahrtrichtung Gehlberg. Da die Kinder schon vom Hinweg nach Gera müde waren, fragten sie den auf dem Bock sitzenden Sohn des Kutschers Schütz, ob das Gespann nach Gehlberg führe und sie aufsitzen könnten. Als dieser die Frage bejahte, bestiegen sie den Leiterwagen. Nach kurzer Zeit kam der Kutscher aus dem Wirtshaus und kletterte auf den Bock. Der Sohn flüsterte seinem Vater heimlich etwas zu. Da nahm der Kutscher die Peitsche, hieb auf die Pferde ein, lenkte scharf herum und jagte den Wagen in Richtung Gera. Die Mädchen, die ja heim nach Gehlberg wollten, schrien laut, aber der Fuhrmann reagierte nicht darauf. Da die Kinder in die entgegen gesetzte Richtung wollten und der Kutscher ihr Flehen nicht beachtete, sondern weiter fuhr, versuchten sie abzuspringen. Zwei kamen heil herunter. Die Malwine Eckardt jedoch geriet schon vor dem Abspringen durch die Erschütterungen des auf der schlechten Straße dahinjagenden Wagens ins Schwanken und fiel zwischen den Leitern hindurch. Unglücklicherweise geriet sie vor ein Hinterrad, wurde überrollt und blieb mit zerquetschtem Kopf liegen. Damit verlor ihre bettelarme Familie die einzige Hoffnung und Stütze, weil die beiden Schwestern des Kindes schon vorher verstorben waren.

(Die drei Mädchen Eckardts waren als Drillinge geboren worden, als ihr Vater Soldat war und sich gerade zu einer Übung auf der Schmücke befand. Sein Kompaniechef ließ die Mutter mit den Drillingen sowohl des Vaters als auch der Sensation halber durch Mithilfe einiger Gehlberger Frauen nach der Schmücke bringen. Als er der armen Frau dann ansichtig wurde, dauerte sie ihn so, dass er ihr einen Taler schenkte.)

Wenn der direkte Anlass des schrecklichen Unfalls auch das unmögliche Verhalten des Kutschers war, so sahen die Gehlberger doch die letztliche Ursache in der Unzumutbarkeit des Weges zum Konfirmandenunterricht. Sie weigerten sich, ihre Kinder weiterhin nach Gera zu schicken und erreichten, dass der Pfarrer künftig zum Unterricht nach Gehlberg kommen musste.

1886 wurde die Schlaguhr, die bisher im Dachgeschoss der Schule untergebracht war, in den Kirchturm verlegt.

Bis 1897 waren alle Personen, die Selbstmord begangen hatten, ohne Glockengeläut in einer besonderen Ecke des Friedhofes bestattet worden. Im Falle des Emil Wiegand weigerten sich nun dessen Angehörige, die entehrende Art der Beerdigung an ihm vollziehen zu lassen. Sie machten geltend, dass durchaus brave und anständige Leute wegen Not oder harter Schicksalsschläge zur Verzweiflungstat des Selbstmordes getrieben werden könnten. Es sei ungerecht, solch bedauernswerten Menschen die letzten Ehren zu verweigern, während andere Bürger mit durchaus nicht immer guten Charaktereigenschaften „das Geläut erhielten und in der Reihe beerdigt“ würden.
Der Pfarrer bat sich Bedenkzeit aus und entsprach dann schließlich dem Verlangen. Seitdem ist die entehrende Unsitte auch nicht wieder geübt worden.
Nachdem 1898 der Geraer Pfarrer Kloß Superintendent geworden war, übernahm Pfarrer Victor Thielemann aus Zella-Mehlis die seelsorgerische Betreuung der Gehlberger Kirchgemeinde. Er war sehr lange im Amt und kam noch als Greis sonntags mit der Eisenbahn zum Dienst nach hier. In seine Amtszeit fielen die großen gesellschaftlichen Umwälzungen und Veränderungen im Denken der Menschen, die schon durch das Aufbegehren der Einwohner gegen die traditionelle Bestattungsart der Selbstmörder und gegen den Konfirmandenunterricht in Gera spürbar geworden war. Hatten vor nicht einmal 100 Jahren das Verhalten des Pfarrers Kohlhardt und die Fehlentscheidungen des Oberkonsistoriums zwar Verstimmung hervorgerufen, aber an der religiösen Einstellung nicht viel geändert, so nahmen sie jetzt bei viel geringeren Anlässen eine oppositionelle Haltung ein.

Zunächst war die Gemeinschaftsarbeit in der alten Gerechtigkeitshütte erloschen. Sie wurde nur noch von 2 Unternehmern betrieben. Nach ihrem Ende 1897 wuchsen zwar die neuen Fabriken Gundelach und Schilling schnell empor, gleichzeitig damit entstand aber auch ein Lohnarbeiterproletariat im Ort, das sich in zunehmendem Maße sozialdemokratischen Auffassungen zuwandte. Der Gegensatz zwischen Arbeitern und dem wohlhabenden Bürgertum war anlässlich der Gründung des ersten Konsums 1886 und dessen durch Intrigen herbeigeführte Liquidierung 1894 bereits deutlich hervorgetreten. Kirche und Pfarrer konnten oder wollten vielleicht auch nicht erkennen, dass sich hier das Ende einer Epoche ankündigte und hielten sich an die konservativen Kreise. Die Arbeiter hingegen beobachteten argwöhnisch, dass der Pfarrer anlässlich seiner Tätigkeit im Ort fast ausschließlich bei wohlhabenden oder politisch rechts orientierten Familien einkehrte. Die Tatsache, dass die Angehörigen der Unternehmerfamilie Gundelach in der Kirche einen besonderen, durch ein Türchen von den anderen Plätzen getrennten Stand mit bevorzugter Lage innehatten, werteten sie als Parteinahme der Kirche für die politischen Gegner der Arbeiterschaft. Kleine Anlässe verschärften die Situation noch.

Arthur Heinz und Hugo Machalett hatten 1899 am Mühlweg ein Haus gebaut. Eines Sonntags beobachteten Pfarrer Thielemann und der Organist Richard Müllich von dessen Dienstwohnung in der ganz neu erbauten Schule aus, dass Heinz die Rückwand seines Hauses mit Schiefern beschlug. Pfarrer und Lehrer beschlossen festzustellen, ob Heinz auch während des folgenden Gottesdienstes weiterarbeiten würde. Tatsächlich konnten sie nach Beendigung des Gottesdienstes sehen, dass die beschlagene Wandfläche größer geworden war. Entsprechend den damals geltenden Gesetzen veranlasste Pfarrer Thielemann die Verhängung einer Geldstrafe gegen Arthur Heinz. Natürlich konnte bei der beträchtlichen Entfernung zwischen Kirche und Mühlweg von einer Störung des Gottesdienstes keine Rede sein. Die Maßnahme, wahrscheinlich vom Lehrer Müllich angeregt, war unklug.

Die unbestreitbare Anlehnung der Kirche an konservative Kreise und ihre Mitwirkung bei Feiern, in denen die Hohenzollern verherrlicht wurden (Sedan-Tag, Kaisers Geburtstag usw.), riefen die ersten Kirchenaustritte hervor. Sie verstärkten sich, als der mit viel hohlem Pathos begonnene 1. Weltkrieg immer mehr Opfer forderte.
Neuen Unmut erregte 1917 die Abnahme einer Glocke zur Einschmelzung für Kriegszwecke. Während des Krieges blieb der Kirchenbesuch annähernd konstant, weil viele Frauen hofften, durch Frömmigkeit und Gebet die Rückkehr ihrer Männer oder Söhne aus dem Felde erflehen zu können. Nach der Niederlage ging er rapide zurück. Der Kaiser von Gottes Gnaden hatte sein Volk ins Unglück geführt und war dann geflohen, die gesegneten Waffen waren nicht siegreich geblieben, die Gebete um das Leben der Angehörigen hatten nichts gefruchtet. Allein im Jahre 1920 erklärten 210 Einwohner ihren Austritt aus der Kirche. Ein Viertel der Schulkinder wurde von den Eltern veranlasst, den Religionsunterricht nicht mehr zu besuchen. Diese Entwicklung war eine bittere Konsequenz der vorangegangenen Haltung sowohl der Kirche, als auch der Mehrzahl ihrer Geistlichen.

1921 ließ die Gemeindeverwaltung südlich neben dem Kirchgebäude eine kleine Leichenhalle errichten. Von nun an wurden die Verstorbenen nicht mehr vom Trauerhaus zur Beerdigung getragen.
1926 wurde eine neue Glocke für die im Kriege abgelieferte beschafft und eingeweiht.

1932 wurde Pfarrer Thielemann im hohen Alter durch seinen Amtsbruder Schumann, ebenfalls aus Zella-Mehlis, abgelöst. Der Kirchbesuch, der während der Arbeitslosenzeit 1929 – 1932 weiter nachgelassen hatte, stieg zu Beginn der nationalsozialistischen Ära zunächst wieder etwas an. Durch die NSDAP und ihre Organisationen veranlasst, traten manche Leute der Kirche wieder bei. Einige ließen sich sogar nachträglich kirchlich trauen. Die antisemitische Einstellung der Nationalsozialisten führte aber bald zu Bestrebungen, Christus zu „arisieren“. Es entstanden die „Deutsche Glaubensbewegung“ mit starken Anlehnungen an germanische Bräuche und die „Deutschen Christen“. Die evangelische Kirche war praktisch gespalten und stark geschwächt. Die Kirchenaustritte nahmen wieder zu. 1938 fanden sich sonntags (außer an besonderen Feiertagen) nicht mehr als 10 Personen in der Kirche ein, meistens ältere Frauen. Mit Beginn des 2. Weltkrieges verstärkte sich der Gottesdienstbesuch aus den gleichen Gründen wieder etwas, wie im ersten Kriege. Diesmal hielt der leicht erhöhte Besuch etwas länger an, weil viele Angehörige noch um ihre vermissten oder gefangenen Soldaten bangten.

Der letzte auswärtige Pfarrer war Herr Harry Anton aus Liebenstein. Persönlich ohne Tadel, legte er 10 Jahre lang den beschwerlichen Weg von Liebenstein nach Gehlberg zurück, im Sommer mit einem alten Kleinmotorrad aus der Vorkriegszeit. Während seiner Amtszeit nahmen die atheistische Propaganda und die Förderung der weltlichen Jugendweihe stark zu. Mit dieser Entwicklung fand sich Pfarrer Anton nur schwer ab. Er versuchte seine Konfirmanden davon abzuhalten, außer der Konfirmation auch noch die Jugendweihe mitzumachen und erreichte hierdurch, dass der Konfirmandenunterricht völlig zum Erliegen kam. 1962 war die Religionsausübung in Gehlberg praktisch auf dem Nullpunkt angelangt.

Die Leitung der evangelischen Kirche Thüringens sandte deshalb im Juli dieses Jahres den Pfarrassistent Martin Keil nach Gehlberg (ab 1964 Pfarrvikar und ab 01.11.1971 Pfarrer - bis 1998; Anm.: R. Schmidt) und ließ ihn hier Wohnung nehmen. Gleichzeitig veranlasste sie, dass ein Montagehaus aus Fertigteilen, das der Landesbischof Dr. Mitzenheim auf einer Reise in Finnland für seine Kirche geschenkt bekommen hatte, in Gehlberg aufgestellt wurde. Es enthält außer einer modernen Wohnung für den Pfarrer auch einen Gemeindesaal. 1964 heiratete der nunmehrige Pfarrer Keil. In seiner Person wurde nach fast 150 Jahren wieder ein Geistlicher im Orte ansässig.

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