21. Streit wegen der widersprüchlichen Produktionsverhältnisse der Dorfglashütte in der Mitte des 19. Jahrhunderts (1841 - 1852)

Unveränderter Wortlaut der von K.-J. Schmidt erstellten Chronik
Die Glasbläser arbeiteten in der Hütte noch genauso wie vor fast 200 Jahren. Um den Ofen befanden sich vier „Stühle“. Zu jedem Stuhl gehörten

    1 Fertigmacher (2 Taler, 12 Groschen pro Woche)
    1 Vorbläser
    1 Balott (1 Taler, 12 – 18 Groschen)
    1 Einträger
    Dazu kamen pro Stuhl etwa 2 Schürer.

Die Hütte war in 24 Werkstätten aufgeteilt. Das Gebäude war 21,98 m lang, 11,96 m breit und bis zum Giebel 4,76 m hoch.
Die Schmelzhäfen fertigten die Glasmacher selbst aus Ton von weißgrauer Farbe an, den sie aus Gehlberg bezogen. Den Sand für das Glas und die Sandsteine für den Ofen ließen sie aus Martinroda herbeischaffen. Die 24 Hüttenteile waren seit Gründung des Werks viele Male vererbt, verkauft und zurückgekauft worden. Sie befanden sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Händen von etwa 15 verschiedenen Personen. Es arbeiteten aber nur 8 Meister mit ihren Leuten in der Hütte. Sie hatten zum Teil die Anteile der sieben nicht produzierenden Mitbesitzer gepachtet. Die Holzzuteilung reichte für etwa 40 Arbeitswochen im Jahr. Man begann jeweils um Mitternacht mit der Arbeit. Kurz bevor das erste Glas fertig war, liefen die Lehrlinge durch den Ort und weckten ihre Meister. Das war bei schlechtem Wetter kein Vergnügen. Im Winter mussten die Jungen oft bei Sturm und Schneetreiben in völliger Dunkelheit durch mannshohe Schneewehen waten. Nicht selten kam es vor, dass die Meister zwar auf die Weckrufe ihrer Lehrlinge antworteten, aber wieder einschliefen. Wenn sie dann zu spät kamen oder nochmals geweckt werden mussten, waren „natürlich“ die nichtsnutzigen Lehrlinge schuld. Sie bekamen gar manche unverdiente Ohrfeige. Gegen 6.00 oder 7.00 Uhr „machten die Glasbläser Frühstück“. Unverständlicherweise tranken sie trotz der am Ofen herrschenden Hitze verhältnismäßig viel Schnaps dazu. Dann wurde bis etwa 16.00 Uhr weiter gearbeitet. Für die täglich 16stündige Arbeit war „nichts nötiger als gutes Augenmaß, nichts gewöhnlicher als blöde Augen, wenige bringen ihre Jahre hoch …“

Obwohl alle Meister Besitzanteile hatten, konnte von einer „Gemeinschaftshütte“ keine Rede sein, weil alle auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren. Jeder Anteilbesitzer fertigte seine Waren allein an, musste also mit seinen Helfern alle Arbeitsgänge nacheinander durchführen. Es gab keine Arbeitsteilung. Deshalb konnten pro Tag und Stuhl nur etwa 2500 – 3000 Gläser hergestellt werden, das Hundert (je nach Art) von 1 bis 16 Taler. Außerdem verwendeten alle Glasmacher einen Teil ihrer Arbeitszeit zum Blasen von „Kobereiseln“, also Glasaccidentien für sich selbst. Auch von dem Hüttenholz nahm sich jeder mit, was er für den Hausgebrauch benötigte. Hinsichtlich des gemeinschaftlichen Teils des Werkzeugs herrschte ebenfalls keine sonderliche Ordnung. Es war oft nicht zu finden, wenn es benötigt wurde. Auch waren die Umgangsformen im Werk nicht sehr fein. Manche Glasmacher tranken viel, gebärdeten sich unflätig und rissen Zoten. Nach Einbruch der Dunkelheit, besonders bei schlechtem Wetter oder im Winter, kamen die Jugendlichen des Dorfes in die Hütte und trieben allerlei Unsinn, gab es doch sonst keine Abwechslung für sie im Ort.
Wie schon erwähnt, hatte die Enkelin des Gründers der Hütte von 1714 einen Pfarrer Müller geheiratet. Ihre Tochter Caroline ehelichte 1800 den Glasmeister Ludwig Greiner. Dieser wanderte eines Tages nach Russland aus. Er nahm einige Glasbläser mit bzw. ließ diese nachkommen und gründete in Livland mehrere Hütten. Caroline hatte aus dieser Ehe zwei Töchter (1800 Charlotte Wilhelmine Eleonore, 1803 Charlotte Dorothea Augusta) und einen Sohn Johann Moritz (1805 – 1844). Die verlassene Frau ließ sich in Abwesenheit ihres Mannes scheiden und heiratete dessen Bruder, den Glasmeister Christian Greiner. Von ihm bekam sie eine Tochter Friederike und den Sohn Robert Konstantin (1818 – 1877). Im Sommer 1841 besuchten nun zwei Kinder Carolines 12 Wochen lang den Ludwig Greiner in Livland. Hierbei lernte Robert Konstantin die Vorteile eines einheitlich geleiteten und straff organisierten Glashüttenbetriebes kennen. Nach seiner Rückkehr kritisierte er die wenig produktive Fertigungsweise in der heimatlichen Glashütte und versuchte später, durch Vorschläge und Eingaben an die Regierung, eine rentablere Arbeitsweise einzuführen. Er tat dies natürlich nicht nur im Interesse der Hütte, sondern auch in seinem eigenen, besaß er doch mit seiner Mutter zusammen 6 von 24 Hüttenanteilen, ungerechnet derer seiner Geschwister.
Die Glasmeister hingegen wehrten sich mit Händen und Füßen gegen die Verbesserungsvorschläge. Sie hatten auch einigen Grund zum Misstrauen. Als nämlich 1841/42 die Existenz der Hütte wieder einmal auf dem Spiele stand, weil die Glasmacher erbittert um Holz kämpften, bot Caroline Greiner dem Forstamt an, das ihr auf 9 (!) Hüttenanteile zustehende Holz gegen Zahlung der Lokaltaxe abzulösen. Dieses Verhalten war eine Ungeheuerlichkeit. Wäre das Amt darauf eingegangen, dann hätte die Greinerin zwar eine Menge Geld erhalten, die Glashütte aber fast die Hälfte des ihr zustehenden Hüttenholzes verloren. Carolines Egoismus hätte die Hauptexistenzgrundlage Gehlbergs zerstört und die Menschen in ausweglose Verelendung gestoßen. Es ist also kein Wunder, wenn die Glasmeister die Pfarrerstochter und ihren Sohn nicht liebten und deshalb auch Vorschläge ablehnten, die ihnen selbst genutzt hätten. Deshalb kam es nach langen Auseinandersetzungen 1846 lediglich zu einer versuchsweisen Annahme der Greinerschen Reformpunkte für drei Jahre.

Die Zustände in der Hütte besserten sich hierdurch aber nicht, denn die Teilhaber waren sich nicht einig, arbeiteten nach eigenem Gutdünken und behinderten hierdurch einen für alle Beteiligten vorteilhaften Betrieb des Werkes. Ständige Streitigkeiten gab es wegen der Beschaffung und Nutzung des gemeinschaftlichen Hüttenholzes. Die Holzanteile der Hüttenbesitzer waren selten pünktlich zur Stelle. Jeder glaubte auch weiterhin, von dem kostbaren Brennstoff für private Zwecke entnehmen zu können. Deshalb wandte sich Robert Greiner im Sommer 1856 erneut an die Forstmeisterei Schwarzwald, schilderte die Zustände und unterbreitete einen Entwurf für einen wirtschaftlichen Verbrauch des Hüttenholzes. Die Angelegenheit wäre sicher im Sande verlaufen, wenn nicht 1857 der Lehnsträger Wilhelm Hartwig gestorben wäre. Da die Einsetzung eines Nachfolgers die Gelegenheit bot, diesen auch mit Vollmachten für einen besseren Betrieb der Hütte auszustatten, wandten sich Robert Greiner, F. Fritsch, F. Heinz, H. Hartwig, E. Gundelach, August Heinz, Christ. Hartwig, Florenz Greiner und Eduard Hartwig mit einem entsprechenden Gesuch an die Behörde in Zella. Diese konnte aber keinen neuen Lehnsträger ernennen, weil der alte Lehnsverband inzwischen aufgehoben worden war. (§ 37 der Grundrechte von 1848: „Aller Lehnsverband ist aufzulösen.“) So kam es im Oktober 1857 zu einem „Statut zwischen dem Bevollmächtigten der Glashütte, Robert Greiner, und den Glasmeistern“. Es enthielt zwar Punkte über die gemeinsame Bezahlung und Anfuhr des Hüttenholzes; die Verpflichtung hinsichtlich pünktlicher Bezahlung und der Haftung für angerichtete Schäden hatten aber vor der Unterschriftsleistung gestrichen werden müssen.

Die meisten Glasmeister waren der Ansicht, die Hütte solle verkauft und in der Hand eines Besitzers weitergeführt werden. Da sie 47 000 bis 50 000 Taler dafür haben wollten, war dies nicht so rasch zu verwirklichen. Deshalb einigten sie sich vorläufig auf die Bestellung Robert Greiners als Generalbevollmächtigten mit dem Titel eines „Hüttenschultheißen“.

Die wirtschaftliche Lage hatte sich inzwischen weiter verschlechtert. Manche Leute sahen in der Heimat keine Existenzmöglichkeit mehr. Deshalb wanderten 1852 Louis Greiner mit seiner Frau und drei Kindern sowie Wilhelm Hartwig nach Amerika aus. Ihnen folgten noch andere Einwohner Gehlbergs.
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