36. Kapp-Putsch (1920)

Unveränderter Wortlaut der von K.-J. Schmidt erstellten Chronik 
Anfang 1920 versuchten reaktionäre Kreise die Reichsregierung zu stürze. Der Militärbefehlshaber General von Lüttwitz ließ in der Nacht vom 12. zum 13. März Freikorps und Reichswehreinheiten nach Berlin marschieren. Die Regierung musste nach Dresden fliehen, weil ihr der Chef des Truppenamtes, General von Seeckt, militärische Hilfe unter dem Vorwand verweigerte, er könne nicht Reichswehr auf Reichswehr schießen lassen. Der politische Führer des Putsches, Generallandschaftsdirektor Kapp, ernannte sich zum Reichskanzler. Auch in anderen deutschen Städten rissen die Putschisten die Macht an sich. Widerstand erstickten sie rücksichtslos mit Waffengewalt. So wurden allein am 14. März in Leipzig 14 unbewaffnete Demonstranten getötet und fast 100 verwundet.

SPD, KPD, USPD und die Gewerkschaften organisierten den Widerstand gegen die reaktionäre Putschistenregierung und riefen zum Generalstreik auf. Etwa 12 Millionen Arbeiter und Angestellte befolgten die Aufforderung.
Überall da, wo ein gut organisiertes Industrieproletariat existierte, trat den Reaktionären eine mächtige Volksbewegung entgegen. Im benachbarten Suhl waren die Bedingungen für den Sieg der fortschrittlichen Kräfte besonders günstig, weil sich die Arbeiter dort die Waffen aneignen konnten, die sie selbst in den Fabriken produziert hatten. In der Nacht vom 15. zum 16. März war Reichswehr aus Meiningen in die Stadt eingedrungen und hatte Bahnhof, Post und Rathaus besetzt. Die bewaffneten Arbeiter nahmen den Kampf gegen die Soldaten auf, vertrieben sie aus Bahnhof und Postamt, umzingelten das Rathaus und hielten die dort eingeschlossenen Truppen durch Gewehr- und MG-Feuer in Schach. Schließlich trafen unter großem Jubel auch noch Zella-Mehliser Arbeiter ein, die einen Panzerwagen mitbrachten und in die Kämpfe eingriffen. Die Noske-Soldaten hatten nun keine Chance mehr. Sie kapitulierten, wurden entwaffnet und nach Zella-Mehlis gebracht. Ein von Meiningen aus zu ihrer Unterstützung abgeschickter Panzerzug kam nicht bis Suhl durch. Sehr aktiv bei der Niederschlagung des Kapp-Putsches erwiesen sich Arbeiter aus Goldlauter, von denen viele in Suhler Fabriken beschäftigt waren. Eine Gruppe, welche die Durchführung des Generalstreiks in den Ortschaften der Umgebung kontrollierte, kam auch nach Gehlberg. Als die Goldlauterer aus dem Wald traten und auf den Ort herunter schauten, waren sie erstaunt und entrüstet darüber, dass die Schornsteine der beiden Glashütten rauchten. Offenbar wurde in Gehlberg nicht gestreikt. Wie kann das sein?
Es gab nur wenige wirklich politisch aktive Arbeiter im Ort, die in der Lage waren, ohne Beeinflussung und Behinderung durch Nachbarschaft oder Verwandtschaft folgenschwere Entschlüsse zu fassen und durchzuführen. Manche Gehlberger, die in Arbeit und Brot standen, wollten oder durften unter dem Einfluss ihrer Familienangehörigen nichts unternehmen, was den Verlust des Arbeitsplatzes hätte zur Folge haben können. Arbeitslose, alte Leute und Frauen waren in diesen Tagen damit beschäftigt, am Schindershieb Rodeland für die Frühjahrsbestellung zurecht zu machen. Andere Einwohner lagen im Bett. Es war eine kleine Grippeepidemie ausgebrochen. Die Beschäftigten des Eichamtes und der Forstverwaltung meinten, der Streik ginge sie überhaupt nichts an. Sie seien Staatsangestellte und brauchten dem Aufruf nicht nachzukommen.
Die Goldlauterer riefen nun die Arbeiter Gehlbergs zu einer Versammlung zusammen und forderten die Schließung der Betriebe sowie das Löschen der Glasöfen. Die erste Forderung wurde sofort gebilligt. Die Öfen löschte man aber nicht, weil sie hierdurch schadhaft geworden wären. Es wurde „kalt geschürt“, d. h. zwar eine Mindesttemperatur eingehalten, jedoch nicht produziert. Dann wurde ein Exekutivkomitee gebildet, das täglich im Spindlerschen Gasthof zusammentrat. Führend beteiligt waren dabei Franz Weiß, Friedrich Will und Julius Holland. Sie veranlassten u. a., dass die im Ort befindlichen Jagdgewehre beschlagnahmt, Postamt und Bahnhof besetzt wurden. Aber auch die Gegenseite blieb nicht untätig. Besonders rührig war der Arzt Dr. Schellmann (Hauptstraße), ein ehemaliger Offizier und überzeugter Monarchist. In beredten Worten stellte er den älteren Mitgliedern der Exekutive die schlimmen Folgen dar, die ihre Teilnahme an den Aktionen der Arbeiter haben könnte. Er erreichte, dass einige von ihnen aus dem Komitee austraten, andere sich von den Parolenausgaben im Gasthof drückten und heimlich durch die Hintertür aus dem Tagungsraum verschwanden. Die Mehrzahl der Exekutivmitglieder erlag den Einschüchterungsversuchen jedoch nicht. Die Ausgeschiedenen wurden durch jüngere Leute ersetzt.

Das Komitee verlangte von den Unternehmern die volle Bezahlung der durch den Generalstreik ausgefallenen Arbeitszeit. Die Fabrikanten reagierten unterschiedlich. Max Gundelach erklärte sich bereit, den Lohn vorzuschießen, ließ aber durchblicken, dass er das Ergebnis der politischen Entwicklung abwarten und gegebenenfalls eine spätere Rückzahlung verlangen wolle. Diese Stellungnahme veranlasste den aus Zella-Mehlis stammenden Schwiegersohn des Schmieds, Otto Schilling, zu einem unüberlegten Schritt. Er verlangte die Verhaftung des Fabrikanten und erging sich in unqualifizierten Drohungen. Gundelach blieb völlig ruhig und erklärte, dass er selbstverständlich mitkommen werde, wenn man glaube, ihn verhaften zu müssen. Die im Gundelachschen Hof versammelten Arbeiter billigten Schillings Vorgehen nicht. Die Verhaftung unterblieb.

Inzwischen war Gotha zum Schwerpunkt der Auseinandersetzungen geworden. Es wurde um die dortige Fliegerwerft gekämpft. Außerdem hieß es, dass Ohrdruf noch von reaktionären Truppen zu säubern sei. In Anbetracht dieser Lage beschloss das Gehlberger Exekutivkomitee zwei Aktionen zur Unterstützung der kämpfenden Arbeiter. Es beschlagnahmte den Gundelachschen Lastkraftwagen und schickte ihn mit etwa 12 bis 15 Mann nach Ohrdruf. Sie sollten versuchen, in den dortigen Arsenalen Waffen und Ausrüstungsgegenstände zu erbeuten. Falls die Reaktionäre in Ohrdruf inzwischen völlig besiegt sein sollten, war an einen Einsatz der Gruppe in Gotha gedacht. Das Unternehmen war jedoch improvisiert und schlecht organisiert. Schon die Auswahl der Teilnehmer war wenig zweckmäßig, befanden sich doch einige Leute darunter, die keine Lust hatten, sich in Lebensgefahr zu begeben, sondern hofften, zusammen mit militärischen Ausrüstungsgegenständen auch in den Besitz von Kleidungsstücken für den privaten Gebrauch zu gelangen.
Da zweite Unternehmen sollte die Verbindung zwischen Suhl und Gotha gewährleisten. Diese Abteilung führte Friedrich Will an. Seine Leute hatten 15 Gewehre, die aus Goldlauter herangeschafft worden waren, aber kein Fahrzeug.
Als die erste Gruppe in Ohrdruf ankam, befanden sich bereits keine reaktionären Truppen mehr in dieser Stadt. Alle Arbeiterabteilungen kämpften schon in Gotha oder befanden sich auf dem Wege dorthin. Der Gundelachsche Fahrer Knabe, der gar nicht daran dachte, für die „Linken“ sein Leben in Gotha aufs Spiel zu setzen, erklärte, man müsse umkehren, weil der Wagen nicht in Ordnung sei. Da einige seiner „Fahrgäste“ im Grunde ihres Herzens damit recht einverstanden waren und keiner der Glasarbeiter damals genügend Fachkenntnisse besaß, um die Richtigkeit seiner Behauptung nachprüfen zu können, trat man schließlich die Heimfahrt an. Es lässt sich heute nicht mehr feststellen, ob es zwingende Notwendigkeit oder nur Schikane war, dass der Fahrer die Leute im Metzelbach absteigen und im strömenden Regen nachts nach Gehlberg laufen ließ.

Die Gruppe des Friedrich Will marschierte nach Oberhof und besetzte dort die Post und einige andere Gebäude. Am anderen Morgen wollte man nach Ohrdruf weiter marschieren. Will erfuhr, dass dort inzwischen alles ruhig war. Ohne Fahrzeug konnte er seine Gruppe nicht zum Einsatz nach Gotha bringen. Also ließ er sie nach Gehlberg zurückkehren. Dort gab es noch einen Streit mit der Gemeindeverwaltung, weil diese sich weigerte, ein von Wills Leuten in Oberhof eingenommenes Frühstück zu bezahlen. Außerdem hatten die Spötter Gesprächsstoff, weil ein Teilnehmer des Marsches, der recht kurzsichtige Arbeiter Posling, im Dämmerlicht einen alten Baumstumpf unter Feuer genommen hatte. Immerhin gelang es doch einigen Gehlberger Arbeitern, nach Gotha zu fahren und sich dort an der Niederwerfung der Putschisten zu beteiligen.

Die wenig erfolgreichen Unternehmen der Gehlberger können nicht über den wirklichen Ernst und die Wirksamkeit der Arbeiterreaktionen im Reich hinwegtäuschen. Die Putschistenregierung Kapp sah sich einer breiten Front gegenüber und trat am 17. März zurück. Die Reichsregierung konnte nach Berlin zurückkehren. Anstatt nun die Putschisten zu bestrafen, beeilte sie sich, den Arbeitern die Waffen zu entziehen und setzte sogar Truppen gegen sie ein.
Während den Noske-Einheiten damals allein in Suhl 774 Gewehre und Pistolen, 8 Maschinengewehre und Maschinenpistolen sowie 41 Kisten mit Munition und Handgranaten in die Hände fielen, blieb Gehlberg von einer Besetzung durch die Reichswehr verschont. Allerdings muss es unter den rechts gerichteten Einwohnern einige Denunzianten gegeben haben. Es erschien nämlich einige Monate später berittene Polizei mit einer aus Gehlberg stammenden Liste, um Verhaftungen im Ort vorzunehmen. Die Polizisten verhörten Oskar Schmidt („Hannessen Oskar“), Louis Heinz und andere Arbeiter, konnten ihnen aber nichts nachweisen. Den Ludwig Schleicher konnten sie nicht finden, weil er noch in Gotha war.

Zunächst schien es, als wolle man in Gehlberg aus dem unbefriedigenden Verlauf der hiesigen Aktionen gegen den März-Putsch Konsequenzen ziehen. U. a. bildete sich eine Ortsgruppe der Kommunistischen Partei von etwa 30 Mitgliedern. Vorsitzende waren nacheinander Oskar Schmidt, Erich Hartwig und Hugo Heinz. In den folgenden Jahren verringerte sich aber die Mitgliederzahl so, dass die Ortsgruppe 1923 wieder aufgelöst werden musste. Auch der kommunistische Jugendverband besaß zwar Angehörige, brachte es aber auf die Dauer nicht zu einer straffen Organisation im Ort. Diese für Gehlberg typische Erscheinung galt auch für SPD und USPD. Das Dorf war ziemlich „rot“ – besonders der „Berg“ (Bergstraße) - die Zahl der ständig politisch organisierten Arbeiter blieb jedoch immer ziemlich klein. Diese gehörten z. T. auswärtigen Ortsgruppen an, wie z. B. Friedrich Will, dem die inkonsequente Haltung im Ort nicht passte und der deshalb Gräfenroda zur „Union“ ging.

067 Friedrich Will 1Abb. 067
Friedrich Will (2.  v.l.) führte während des Kapp-Putsches bewaffnete Gehlberger Arbeiter.
068 Friedrich Will 2
Abb. 068
Friedrich Will, Altersbild 

So gering die Neigung der Gehlberger zum Beitritt in politische Parteien war, so stark scheint ihr Bedürfnis gewesen zu sein, Vereinen beizutreten, in denen sich Angehörige gleicher Bevölkerungsgruppen zusammenfanden. So führte die gespannte politische Situation jener Tage zur Gründung eines dritten Gesangsvereins. Neben dem Männergesangsverein von 1896 und der politisch rechts stehenden „Germania“ von 1910 entstand noch ein Arbeitergesangverein, anfänglich als Männer- später als gemischter Chor. Da unter seinen hiesigen Mitgliedern kein geeigneter Dirigent zu finden war, übernahm der Lehrer Förster aus Elgersburg die Leitung.

Eine weitere Gründung im Jahr 1920 war ein Freidenkerverein. 210 Personen erklärten ihren Austritt aus der Kirche, 40 Kinder nahmen nicht mehr am Religionsunterricht teil.

Außerdem gab es noch einen Arbeitersportverein mit einer Jugendsektion „Alpenkraxler“. In beiden Gruppen war Franz Weiß besonders aktiv.
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