1945 Gehlberg unter sowjetischer Besatzung

Autoren:  K.-J. Schmidt bzw. Reinhard Schmidt (1968 bzw. 2021) 
Am 8. Juli wurde die US-amerikanische Besatzungsmacht durch die sowjetische abgelöst. In Gehlberg erschien eine kleine Abteilung von Rotarmisten mit sogenannte „Panjewagen“, also leichten Pferdegeschirren, wie sie damals von den Bauern Ostpolens und Russland benutzt wurden. Die Soldaten biwakierten auf der Wiese gegenüber dem abgebrannten Adolphschen Hause sowie dem späteren Kurpark (zwischen „alter Schule“ und der Gundelachschen Fabrik). Währen sich die erwachsenen Einwohner ziemlich skeptisch und zurückhaltend verhielten, tummelten sich die Kinder bald zwischen den Pferden und Soldaten umher. Hierbei wurde die für sowjetische Soldaten typische Kinderfreundlichkeit sichtbar, ein Verhalten, welches während der US-amerikanischen Besatzung nur gelegentlich bei Farbigen beobachtet worden war. Die Rotarmisten kauften im Ort Esswaren. Einem ehemaligen Mitglied der SA nahmen sie ein nicht abgegebenes Rundfunkgerät fort. Die kleine Truppe zog bereits folgenden Tages wieder ab und hinterließ lediglich einen Telefonistenposten von 3 Mann für einige Wochen im Pensionshaus der „Gehlberger Mühle“. In der Folgezeit machte sich jedoch der Wechsel der Besatzungsmacht sehr nachhaltig bemerkbar. Die SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) erließen zahlreiche Befehle, die entweder die Durchsetzung der Potsdamer Beschlüsse der Entnazifizierung, Entmilitarisierung usw. betrafen oder die Versorgung der Bevölkerung gewährleisten und das wirtschaftliche Leben in Gang setzen sollten. Da die örtlichen Verwaltungen kaum funktionsfähig waren und die Besatzungsmacht - nicht ohne Grund - ziemlich misstrauisch war, spielten die Militärkommandanturen in den Kreisstädten eine wichtige Rolle und die Bezeichnung „Kommandant“ wurde bald zu einer der meistgebrauchten Vokabeln.


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Abb. 1945-028a
„Leitung der Kriegskommandantur der Stadt Arnstadt 2. August 1945
Dieses Zertifikat ist bis auf Widerruf gültig. Kriegskommandant der Stadt Arnstadt
Oberstleutnant Martemjanow“ 

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Abb. 1945-028b

Während die US-Amerikaner, gemäß ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, der Entwicklung des Wirtschaftslebens überall weitgehend freien Lauf gelassen hatten, versuchte die sowjetische Besatzungsmacht, eine Restauration größerer kapitalistischer Unternehmungen sowie die Entwicklung eines Nachkriegs-Gewinnlertums nach Möglichkeit zu verhindern und dafür ein möglichst gleichmäßiges Versorgungsniveau der Bevölkerung zu erreichen. Das System der Zuteilung und Lebensmittelkarten wurde noch jahrelang aufrechterhalten. Die Rationen richteten sich nach der Schwere der Arbeit. Ausgehend von den wenigen erhaltenen Großbetrieben wurde in den folgenden Jahren das Werkküchenessen nach und nach auch auf kleinere Fabriken ausgedehnt. Die Genehmigungen für nahezu allen Vorhaben von Bedeutung mussten den Stempel der Kommandanten aufweisen. Infolge dessen wurden die Kommandanturen mit Anträgen und Bittschriften regelrecht überschüttet. Es liegt auf der Hand, dass die Offiziere, die ja für solche Aufgaben nicht geschult waren, bei bestem Willen nicht alle Probleme zufriedenstellend lösen konnten. Härten oder Fehlentscheidungen waren besonders dann nicht zu vermeiden, wenn sie sich auf deutsche Berater oder Informanten nicht verlassen konnten. Ein solcher Fall ereignete sich auch in Gehlberg. Am 12.8.45 führten sowjetische Soldaten eine Razzia nach Kriegsverbrechern und höheren NS-Funktionären durch. Das Kommando verhaftete den ehemaligen SA-Truppenführer H., Ernst S. („Dittmer“ genannt) und den Schuhmacher. Die beiden Erstgenannten wurden nach etwa 14 Tagen wieder entlassen, da ihnen ernstzunehmende Vergehen nicht angelastet werden konnten. Oskar S. hingegen blieb in Haft. Später stellte sich heraus, dass er bezichtigt worden war, den (bereits erwähnten) geflohenen Zwangsarbeiter beim Wiedereinfangen misshandelt, bzw. angeschossen zu haben. In Wirklichkeit hatte aber der Schuhmacher mit dieser Angelegenheit überhaupt nichts zu tun. An dem Vorfall war seinerzeit ein anderer Einwohner gleichen Namens beteiligt gewesen. Das sowjetische Razzia-Kommando hatte die falsche Information von einer Gruppe erhalten, die hauptsächlich aus ortsfremden Evakuierten bestand. Es war nicht zu eruieren, ob und welche Initiativen danach ergriffen wurden, um den Verhafteten frei zu bekommen. Fest steht, dass er erst nach 3 Jahren, am 20.8.48 zurückkehrte. Sein Gesundheitszustand hatte durch die unverschuldete Haft im Lager erheblich gelitten. Der Mann, mit dem er verwechselt worden war, blieb zwar unbehelligt. Er nahm sich aber - vermutlich von Gewissensbissen geplagt – das Leben.

Bei den Razzien kontrollierten die sowjetischen Einheiten entweder Haus für Haus die “zeitweiligen Registrierungskarten“ der Einwohner auf Eintragungen über die Zugehörigkeit zur Wehrmacht und nationalsozialistischen Organisationen, gingen Hinweisen nach, die sie von Einzelpersonen bzw. den sogenannten „Antifa Komitees“ erhielten. Bei der Beurteilung jeweiliger Daten und Situationen waren die den Verhältnissen im Lande fremd und unwissend gegenüberstehenden Soldaten völlig von der Interpretation ihrer deutschen Helfer und Dolmetscher abhängig, hielten doch die aus meistens mehr als bescheidenen Verhältnissen kommenden sowjetischen Menschen anfänglich jede durchschnittlich eingerichtete deutsche Arbeiterwohnung für das Domizil eines Reichen, bzw. Kapitalisten. So kann es nicht verwundern, dass die bei den Razzien vorgenommenen Verhaftungen häufig unzureichend begründet waren. Es handelte dich zudem meistens um „kleine Nazis“ weil sich die höheren NS–Funktionäre ja längst in den Westen abgesetzt hatten. Offensichtlich setzte sich die Erkenntnis dieser Tatsache bei der Besatzungsmacht nach und nach durch und die Aktionen wurden eingestellt. Hierdurch konnte allerdings der in vielen Fällen eingetretene Schaden nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Der Ernährungszustand der Bevölkerung war schon während des Krieges äußerst dürftig gewesen. Nach Kriegsende wurde er noch schlechter, zumal die landwirtschaftlichen Gebiete ostwärts von Oder und Neiße an Polen abgetreten, die von dort evakuierte Bevölkerung aber aufgenommen und versorgt werden musste. Infolge der Unterernährung waren die Menschen gegen Krankheiten wenig widerstandsfähig. Um einer Typhusepidemie vorzubeugen, ließ die Besatzungsmacht eine allgemeine Schutzimpfung durchführen. Die schlimmste Not in Gehlberg litten die alten evakuierten Leute, die im Pensionshaus der „Gehlberger Mühle“ untergebracht waren. Diese Menschen hatten bei der Umsiedlung ihr gesamtes Hab und Gut zurücklassen müssen und besaßen nun weder ausreichende Kleidung noch andere dringend notwendige Gegenstände des täglichen Gebrauches. Sie waren alle mehr oder weniger gebrechlich bzw. krank und hätten einer Ernährung bedurft, die weit über die damaligen Rationen der Lebensmittelkarten hinausging. Aber gerade dieses war unmöglich, weil sie keine Möglichkeit besaßen, sich zusätzlich Nahrungsmittel zu beschaffen, besaßen sie doch weder Tauschgegenstände noch Land und hätten letzteres wegen ihrer körperlichen Verfassung auch gar nicht bearbeiten können. So vegetierten sie – meistens unterhalb der Grenze des Existenzminimums – dahin. Obwohl ihrer nicht sehr viele waren, gab es mindestens einen Todesfall im Monat.

Im September war die Instandsetzung des Lichtnetzes beendet. Gehlberg bekam wieder – ein wesentlicher Fortschritt – elektrischen Strom. Der Energiebedarf war natürlich wesentlich größer als seine Deckungsmöglichkeiten. So wurde die Netzspannung von 220 Volt nur selten erreicht und es gab fast täglich Stromabschaltungen. Im Oktober begann, einem Befehl der SMAD entsprechend, der Unterricht in den Schulen wieder. Alle Lehrkräfte, die der NSDAP bzw. ihren Gliederungen angehört hatten oder Offiziere der Wehrmacht gewesen waren, wurden vorerst nicht wieder zugelassen. Deshalb unterrichtete Lehrer Biemüller zunächst alle Schüler Gehlbergs allein. Da es Bücher, Schreibhefte und Schreibutensilien nicht zu kaufen gab, mussten Zettel oder Rückseiten bereits beschriebener Papiere verwendet werden und es kam die alte Schiefertafel - soweit noch vorhanden – für längere Zeit wieder zu Ehren. Die Kinder waren unzulänglich gekleidet Nicht nur der Mangel an Schuhwerk machte sich mit Beginn des Winters unangenehm bemerkbar. Es fehlte an Brennstoffen. Der Unterricht drohte auszufallen. Die sowjetische Militäradministratur (SMA) drohte deshalb mit Konsequenzen für die Bevölkerung, falls die Gemeinden es nicht schafften, ihre Fuhrunternehmer zur Abfuhr von Schleifholz (auf Länge geschnittene Baumstämme) zu verpflichten. Die Bevölkerung sollte beim Holzeinschlag helfen, damit genug Brennstoff für die Schulen, für die Krankenhäuser und zur Selbstversorgung zur Verfügung stand.


Abb. 1945-002 1) 

1945 003 Holzeinschlag Seite2x
Abb. 1945-003 1) 

1945 004 Holzeinschlag
Abb. 1945-004 2) 

 
Durch eine inhaltlich falsche Meldung des Bürgermeisters waren die 5 Ski-Hütten am Brand als dem „Reichsbund für Leibesübungen“ zugehörig gemeldet (siehe dazu auch 1947).3)
Es mangelte an Transportmitteln. Die unter Sequester stehende Firma Gundelach musste eine Lieferwagen abgeben.4)

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Abb. 1945-012 


1) Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt; Bestand Gehlberg; Signatur 110; 14.12.1945; Holzeinschlag
2) Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt; Bestand Gehlberg; Signatur 110; 14.12.1945; Meldung an Forstamt
3) Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt; Bestand Gehlberg; Signatur 277 . 09.11.1945
4) Stadt- und Kreisarchiv Arnstadt; Bestand Gehlberg; Signatur 133 . 13.11.1945

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