31. Entwicklung im Geragrund, Mühle und „Glöckchen im Tale“ (1888 - 1931)

Gemäß DSGVO geänderter Text 
Am 13.3.1888 legte der ehemalige Lehrer Ernst Möller sein Bürgermeisteramt nieder und zog in die „Gehlberger Mühle“, in deren Besitz er durch seine (erste) Frau, eine geborene Heinz, gekommen war. Die Gastwirtschaft ging gut. 1892 konnte er einen Speisesaal anbauen lassen. 1897 folgte ein geräumiges Logierhaus und 1902 zwei weitere Säle. Möller wurde also schnell reich, kaufte zahlreiche Grundstücke an, darunter 1901 auch die Schneidemühle vor der Schneetiegelmündung. Er musste sich allerdings verpflichten, nicht selbst darin zu produzieren. Wir wissen bereits, dass die Mühle später nach seinem Sohn die „Russenmühle“ genannt wurde.

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(Abb. 051)
Die 1801 von Glasmeister J. Ludwig Heinz wiedererbaute "Gehlberger Mühle" 1890.
⇒(EA039) Weltkugel Foto

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Abb. 052
Die "Gehlberger Mühle" 1902

Einer der Gäste Ernst Möllers war der Geheimrat Professor Dr. Hans Kehr, ein berühmter Gallenoperateur aus Halberstadt.

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(Abb. 055)
Dieser Mann fühlte sich in Gehlberg wohl und brachte viele Freunde mit, wenn er seinen Urlaub hier verlebte, darunter auch Künstler der Bayreuther Wagner-Bühnen. Er behandelte nicht nur die damalige deutsche Prominenz, sondern wurde auch zu schwierigen chirurgischen Eingriffen in das Ausland gerufen (Amerika, König von Spanien usw.). Trotz dieses Umgangs in den Kreisen der damals herrschenden Klasse war Kehr sehr arbeiterfreundlich. Er ließ viele Menschen an seinem Reichtum teilhaben und operierte manchen armen Schlucker kostenlos. 1908 hatte er sich das „Glöckchen im Tale“ bauen lassen.

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"Glöckchen im Tal", erbaut 1908

Dieses Gebäude war zu klein, wenn der Professor Feste mit seinem umfangreichen Anhang feiern wollte. Folglich fanden solche Veranstaltungen beim Mühlenwirt statt. Es gefiel dem Arzt nicht, wenn die Tafelrunde dadurch gestört wurde, dass der Wirt („Cäsar“) registrierte, wie viele Flaschen Wein auf den Tisch kamen. Deshalb schlug er ihm vor, man werde die ausgetrunkenen Flaschen einfach auf den Korridor stellen und könne sie ja am folgenden Morgen zählen, wenn man ausgeschlafen und wieder ganz nüchtern sei. Diese Regelung bewährte sich aber nicht. Möller wurde nämlich dabei erwischt, wie er heimlich leere Flaschen aus dem Keller holte und sie zu denen des Professors auf den Gang stellte. Der sonst so großzügige Arzt nahm dem reichen Wirt dieses Verhalten sehr übel. Es kam zu einem (allerdings nur vorübergehenden) Bruch. Kehr baute 1913 hinter dem Glöckchen eine eigene Villa und feierte künftig seine Feste dort.

054 Professor Kehr Auto(Abb. 054)
Besuch bei Professor Kehr (Prof. Kehr rechts)
⇒(EA045) Weltkugel Foto
Seinen Geburtstag (27.04.1862 Anm.: R. Schmidt) allerdings beging er in Form eines Kinderfestes. Die Gehlberger Schuljugend erfreute den berühmten Mann mit seinem Lieblingslied „Ach, wie ist`s möglich dann“. Jedes Kind erhielt eine Tüte Bonbons, Malzbier und Marken für zwei – manchmal auch mehr – Thüringer Rostbratwürste von den Ständen der beiden Fleischer Gehlbergs. Es war ein richtiges Volksfest, das sich alljährlich zwischen dem Haus des Schusters Fritz, der Post und der alten Schule abspielte. Der Professor war sogar „wie ein Professor angezogen“, während er sonst oft so bescheiden gekleidet ging, dass man ihn für einen wenig begüterten Touristen hätte halten können. Er verspeiste an diesem Tag mindestens 10 Bratwürste, die er „alle durch eine einzige Semmel schob“. Es wird sogar behauptet, dass er diese nach dem Schmause weggeworfen haben soll.

In Ausübung seines Berufes zog sich Prof. Dr. Kehr während des 1. Weltkrieges eine Infektion zu, an deren Folgen er am 20.5.1916 starb. Seine Urne wurde im Edelmannsgrund bei seinem „Glöckchen“ beigesetzt. Bezeichnend für seine Gesinnung ist die Tatsache, dass er testamentarisch einen Betrag hinterlegen ließ, damit die Schulkinder auch noch Bratwürste bekommen sollten, wenn sie jeweils am 20. Mai, seinem Todestag, zum Glöckchen kamen, um dort sein Lieblingslied zu singen.
Leider gab es infolge des Krieges aber bald keine Bratwürste mehr. Das ausgesetzte Geld verfiel durch die Inflation bis auf einen Rest. Deshalb schlief die geschilderte Sitte in den zwanziger Jahren ein. ⇒(EA1923-002) Foto

Ein Jahr nach dem Tode des Professors ereignete sich am Glöckchen eine Tragödie. Hans, einer der Söhne Kehrs, war mit Hulda, der Tochter des Fabrikanten Eugen Gundelach befreundet. Nach den Aussagen seiner Schwester Anna-Klara, hoffte das Mädchen, auf eine Ehe mit dem Kehr-Sohn. Als Hulda einem Brief des jungen Kehr entnahm, dass sich ihre Hoffnung nicht erfüllen würde, warf sie sich vor dem „Glöckchen im Tale“ unter einen Eisenbahnzug (21.6.1917). Hans Kehr stürzte später als Kriegsflieger tödlich ab.

Im Weltkrieg kam der vorher so lebhafte Fremdenverkehr im Geragrund restlos zum Erliegen. Erst nach der Inflation entwickelte er sich wieder. In den zwanziger Jahren begannen die Blaskonzerte vor der „Gehlberger Mühle“ wieder. Gäste kamen mit dem „Kaffeezug“, machten kleine Spaziergänge oder ließen es sich im Garten vor der „Mühle“ schmecken. Ernst Möller starb 1925. Das Lokal kam zunächst an seine Erben, wurde aber 1931 an die Familie Becker verkauft. ⇒(EA1924-001) Foto

In der nationalsozialistischen Zeit endete das frohe Treiben der Menschen im Geragrund. Die „Gehlberger Mühle“ wurde Gefangenenlager.
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