39. Das Ende des „Dritten Reiches“ (1945)

Gemäß DSGVO geänderter Text 
Im Februar (1945; Anm. R. Schmidt) beschlagnahmte der Reichsverteidigungskommissar das Gasthaus „Herzog Alfred“, um Personal und Büros für die „Forschung“ der Reichspost darin unterzubringen. Auf dem Schneekopf ⇒(EA107)Foto befand sich schon seit längerer Zeit ein Objekt zur Feststellung und Ortung feindlicher Flugzeuge. Auch die Schmücke wurde in militärische Maßnahmen einbezogen. Alliierte Flugzeuge überflogen den Ort immer häufiger.
Kohlen wurden immer rarer. Die Gundelachsche Hütte musste die Hälfte ihrer Zuteilung an Schilling abgeben. Das half aber auch nicht viel. Schilling war schließlich gezwungen, die Produktion ganz einzustellen.
Gas gab es für Betriebe nur noch von 7 bis 12 Uhr. Haushalte durften es gar nicht mehr verwenden.
Am 19.3. fielen zwei Bomben am Brand ⇒(EA107)Foto, ohne nennenswerten Schaden anzurichten. Weitere Bomben und Luftminen schlugen am 21.3. dort ein, darunter etliche Blindgänger, die bis zu ihrer Sprengung liegen bleiben mussten. 0,75 ha Wald wurden vernichtet. In Gehlberg barsten lediglich Fensterscheiben.
Am 22.3. beschlagnahmte SS die Schmücke zur „besonderen Verwendung“ für den Reichsaußenminister Ribbentrop. Militär zog dort ein, darunter auch einige übergelaufene Kosaken. Albert Wieprecht, Wirt auf der Schmücke seit 1914, musste sein Gasthaus verlassen und in der „Suhler Hütte“ Quartier beziehen. In der Schule nahm der SS-Führer Sawade Quartier.
Auch sonst spürten die Gehlberger das Näherrücken der Front täglich deutlicher. Arbeiter, die nach Zella-Mehlis oder Suhl fuhren, waren ihres Lebens nicht mehr sicher, weil die Piloten amerikanischer Jagdbomber nicht nur militärische Objekte angriffen, sondern ihre fliegerischen Künste auch in der Verfolgung und Beschießung von Personenzügen auf den kurvenreichen Waldstrecken ausprobierten. Ende März waren die Geräusche der näher rückenden Front auch diesseits des Rennsteiges ständig zu hören. Am 3.4. fuhr der letzte Zug in Richtung Meiningen, gelangte aber nur noch bis Zella-Mehlis und musste dort umkehren. Am gleichen Tag brach die Elektrizitätsversorgung nach Gehlberg ab. Das Gipfelgebiet des Thüringer Waldes wurde Kriegsschauplatz. Deutsche Kampftruppen passierten den Ort oder bezogen darin vorübergehend Quartier. Der sogenannte „Volkssturm“ der älteren Männer bereitete an verschiedenen Wegen „Panzersperren“ vor; eine völlig wirkungslose Maßnahme, die zudem ohne jede Fachkenntnis und zum Teil auch recht lustlos ausgeführt wurde.
Am 5.4. erhielt Gehlberg den ersten Artilleriebeschuss durch amerikanische Geschütze, die in der Nähe der Straße Schmücke – Oberhof unweit der Fuchsfarm aufgefahren waren. Die Granaten beschädigten viele Häuser, z. B. das Dachgeschoss des Fleischhauerschen Hauses am unteren Ortseingang. Die deutschen Truppen richteten in der Gaststätte „Kühn“ einen Verbandsplatz ein. Schwester Else, die Lebensgefährtin des Konsumverwalters, unterstützte die Sanitäter und Ärzte bei der Versorgung der Verwundeten, die dann meistens nach Ilmenau weitertransportiert wurden. Die Aussichtslosigkeit der Lage war nicht mehr zu verbergen. Führer mancher Einheiten trafen heimlich Vorbereitungen, ihre Untergebenen im Stich zu lassen und sich unbemerkt abzusetzen.
Der Rassenexperte Karl Astel, der seine Frau und beide Kinder in den Logierräumen des Gasthauses „Kühn“ einquartiert hatte, erschien aus Weimar, um einen gemeinsamen Selbstmord der ganzen Familie auszuführen. Da ihm seine Frau die Zustimmung verweigerte, fuhr er in seine Dienststelle zurück und erschoss sich dort am Schreibtisch. Bekanntlich hatten die Nationalsozialisten auch halbwüchsige Hitlerjugendmitglieder in sogenannten „Werwolf-Verbänden“ organisiert, um sie an der Front als Panzervernichtungstrupps einzusetzen. Eine solche Gruppe rückte auch in Gehlberg ein. Ihr Führer logierte in der Schulstraße.
Am 7.4. erschienen Kommandos, die alle Juden aus der Mengschen Fabrik abholten ⇒(EA101)Weltkugel, darunter auch den 15-jährigen Sohn eines Pour le Mèrite-Trägers aus Weimar, Wolfgang Wolf. Niemand hat wieder etwas von den unglücklichen Menschen gehört. Die Slowenen brachte man nach Arnstadt. Russen und Ukrainer kamen in das Zwangsarbeiterlager des Gräfenrodaer Glaswerkes „Wilhelmshütte“. Nicht evakuiert wurden die Fremdarbeiter (Polen, Galizier), die in einer Baracke auf dem Grundstück der Schillingschen Fabrik untergebracht waren.
Am Sonntag, dem 8.4.1945, belegten die Amerikaner Gehlberg mit Artilleriefeuer. Es brannten ab:
  - Schleiferei und Villa der Schilling G.m.b.H. (Hauptstraße 52) ⇒(EA108)Weltkugel,
  - Wohnhaus und Stall des Bernhard Adolph (Hauptstraße 1) ⇒(EA094)Weltkugel,
sowie
  - das Stallgebäude des Wendelin Hartwig (Mühlweg 9) ⇒(EA110)Weltkugel.
085 Hauptstrae 1Abb. 085
Haus Hauptstraße 1 - eines der am 8.4.1945 durch amerikanisches Artilleriefeuer zerstörten Gebäude. Bernhard Adolph (4. v.l.) kam dabei ums Leben. Rechts, mit dem Fuhrwerk, sein Sohn Hermann. 


Die Gundelachsche Hütte und viele Häuser wurden z. T. erheblich beschädigt ⇒(EA111)Weltkugel . An einigen Gebäuden fehlten ganze Wandpartien und die oberen Stockwerke hingen förmlich in der Luft. Es gab kaum noch eine ganze Fensterscheibe im Dorf.
An Todesopfern waren unter der Zivilbevölkerung zu beklagen:
  - Bernhard Adolph (Hauptstraße 1), er starb auf dem Transport nach Ilmenau,
  - Max Möller, Albert Schüller und Anton Preißler (Arlesberger Straße),
  - Anna Machalett (Elgersburger Straße).
Außerdem wurden viele Einwohner verletzt.

Das Geschützfeuer hielt mit wechselnder Stärke den ganzen Tag über an, obwohl die Artilleriebeobachter eigentlich hätten sehen müssen, dass sich keine Kampfeinheiten im Dorfe aufhielten. Die wenigen deutschen Truppen, die noch nicht abgerückt waren, kämpften auf aussichtslosen Posten in den Wäldern auf den Höhen südlich des Ortes.

Gegen Abend stellten die Amerikaner das Feuer vorübergehend ein, um ihre Abendmahlzeit zu sich zu nehmen und gingen anschließend zu stark vermindertem Streufeuerbeschuss mit größeren Unterbrechungen über, der bis etwa 7 Uhr früh dauerte.

Am Morgen des 9. April entschlossen sich etliche Gehlberger Einwohner dazu, das zu tun, was eigentlich die Sache der damals verantwortlichen Funktionäre gewesen wäre: Sie hissten Betttücher als weiße Fahnen, um der sinnlosen Vernichtung ein Ende zu bereiten. Wer damit zuerst begann, ist nicht mehr festzustellen. Der Verbandsplatz im Gasthaus „Kühn“, der Konsum, das Wohnhaus der Schule und die Kirche zählten zu den ersten Gebäuden, denen weitere rasch folgten.
Schon am Vormittag rückten die Amerikaner – motorisierte Infanterie und Panzer – kampflos in Gehlberg ein. Beim Durchsuchen der Keller nach eventuell doch noch zurückgebliebenen deutschen Soldaten ließen sie Zivilisten, meistens Frauen, zum Selbstschutz voran gehen. Die Häuser, in denen sie sich einquartierten, mussten von den Bewohnern vollkommen geräumt werden. Außer den bei Besetzungen üblichen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und Ausgehzeit der Einwohner, verlangten die Amerikaner noch die Ablieferung aller Rundfunkempfänger, Fotoapparate und optischer Geräte.

Die deutsche Besatzung des Schneekopfes hatte nichts davon erfahren, dass Gehlberg bereits in amerikanischer Hand war. Führerlos erschienen die Leute im Dorf und versuchten, da sie nicht gleich bemerkt wurden, nach Arlesberg weiterzukommen. Das war unmöglich, am Ortsausgang gerieten sie in Gefangenschaft.

Die abrückenden deutschen Truppen schossen im Laufe des Tages aus nordöstlicher Richtung noch einige Granaten in das Dorf, die in der Nord- und Südstraße Schaden an Häusern anrichteten. Dann entfernten sich die Kampfgeräusche immer weiter.
Für Gehlberg war der 2. Weltkrieg beendet. 
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.