38. Gehlberg unter dem nationalsozialistischen Regime (1933 - 1944)

Gemäß DSGVO geänderter Text 


Es ist bekannt, dass die Menschen in Deutschland nichts von dem Spiel hinter den Kulissen erfuhren, das zur Machtübernahme Hitlers führte. Nach dem 30. Januar 1933 änderte sich zunächst im Ort nicht viel. Die Nationalsozialisten, nach der Wahlschlappe vom vergangenen November vorübergehend etwas kleinlaut geworden, trugen die Köpfe nunmehr betont hoch und hängten ihre Hakenkreuzfahnen aus den Häusern. Die linksgerichteten Kreise verhielten sich abwartend und ließen durchblicken, dass Hitler nicht weiter kommen würde als seine Vorgänger Papen und Schleicher. Nach und nach wirkte sich aber der Propagandafeldzug des Joseph Goebbels aus, der in Presse und Rundfunk sehr geschickt mit ethischen und patriotischen Begriffen agitierte. So blieb den Anhängern der Deutschnationalen Partei und des Stahlhelms, denen die Nationalsozialisten eigentlich nicht vornehm genug waren, nichts weiter übrig, als ihre schwarz-weiß-roten Fahnen ebenfalls aus den Fenstern zu hängen. Da die Arbeitslosigkeit weiter anhielt, verfügte die NSDAP auch an Wochentagen über genügend Menschen für ihre Propagandatätigkeit. Mit Lastkraftwagen kamen SA-Trupps in alle Dörfer, klebten Plakate an, marschierten durch die Straßen und sangen Kampf- und Soldatenlieder. Die wenigen Gehlberger SA-Leute gehörten dem Gräfenrodaer „Sturm“ an.


Abb. 081
Aufmarsch
⇒(EA124)

Abb. 082
A. T. durchbrach in Erfurt die Absperrungen, um ihrem Führer zu huldigen.

Abb. 083
Angehörige der SA-Reserve Gehlberg/Gräfenroda. Die jüngeren Mitglieder waren damals schon zum Wehrdienst eingezogen.

Während nach dem Reichstagsbrand überall im Lande Funktionäre der SPD und KPD verhaftet wurden, gab es in Gehlberg keine Verfolgungen.
Das hatte 3 Gründe:
Erstens existierten im Dorf weder sozialdemokratische noch kommunistische Ortsgruppen, also auch keine Funktionäre, sondern nur mehr oder weniger aktive Mitglieder.
Zweitens war der hiesige NSDAP-Ortsgruppenleiter das, was man damals einen „ruhigen Beamten“ nannte. Er hatte sich der Partei wohl hauptsächlich deshalb angeschlossen, weil er sich hierdurch im Falle ihrer Regierungsübernahme Hilfe für seinen verschuldeten Betrieb erhoffte.
Drittens waren in dem kleinen Ort die Angehörigen der verschiedensten politischen Richtungen doch alle mehr oder weniger eng miteinander verwandt und mochten sich deshalb nicht gern gegenseitig in Gefahr für Leib und Leben bringen. Zwar hatten einzelne Hitzköpfe der hiesigen SA in früheren politischen Auseinandersetzungen zuweilen Drohungen gegen „Gehlberger Rote“ laut werden lassen und es sollte auch eine Liste mit 17 Namen von Leuten vorhanden sein, die im Falle eines Sieges der NSDAP „abzuholen“ seien – so lange aber Ortsfremde den Ton in der Ortsgruppe nicht angaben, gab es keine Verhaftungen.

Durch den Propagandarummel und die Lüge von der „kommunistischen“ Reichstagsbrandstiftung gewannen die Nationalsozialisten die Wahl vom 5. März 1933 sehr hoch mit 288 Mandaten. Die trotz des vielerorts recht massiven Terrors doch noch erzielten 81 Mandate der KPD verfielen, weil die Partei verboten wurde. Ihre hiesigen Mitglieder hielten jedoch weiterhin Kontakt nach Goldlauter, Manebach und Gräfenroda und halfen auf der Flucht befindlichen Genossen weiter. So versteckten Friedr. W. und Franz W. den Gräfenrodaer KPD-Vorsitzenden Hermann G. tagelang vor seinen Verfolgern und brachten ihn eines Nachts unbemerkt weiter nach Geraberg.

Um den vollständigen Wandel von der Weimarer Demokratie zur NS-Diktatur deutlich zu machen, seien hier die wichtigsten Daten des Jahres 1933 aufgeführt:

   30.01.  Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg
   27.02.  Reichstagsbrand
   05.03.  Reichstagswahlen
   23.03.   Ermächtigungsgesetz (Außerkraftsetzung wichtiger Teile der Verfassung, Regierung ohne Parlament möglich)
   31.03.   Ersetzung der Länderregierungschefs durch Reichsstatthalter der NSDAP 7.4. Arierparagraph (Juden dürfen nicht mehr Beamte sein)
   02.05.  Unterstellung der Gewerkschaften unter Robert Ley (Im November endgültige Überführung der Gewerkschaften in die NS-Arbeitsfront)
   14.10.  Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund
   01.12.  Verbot aller noch bestehenden Parteien außer der NSDAP

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation konnte man 1933 zunächst keine Besserung wahrnehmen, obwohl damals der tiefste Punkt der Krise schon überschritten war. (Die Besserung der kommenden Jahre wäre sicher auch ohne das Eingreifen Hitlers eingetreten.)

Vorläufig mussten also in Gehlberg die Notstandsarbeiten weitergeführt werden. Der Bau des Schwimmbades ging gut voran.


Abb. 078
Das Becken erhielt zunächst keine Betonierung, sondern schräge Böschungen, die mit gespundeten Bohlen befestigt wurden. 

079 Waldbad fertigAbb. 079
Das fertige Bad. Im Hintergrund das "Buch".
⇒(EA091)WeltkugelFoto
(Ergänzung 1934-004)WeltkugelFoto1934 – 1989 Das Gehlberger Waldbad


Am 1.4.33 eröffnete Frau Else Behling ein Textilgeschäft in der Schmiede(Anm. R. Schmidt 2024: jetzige Hauptstraße 12). ⇒(EA092)WeltkugelFoto


⇒(Ergänzung 1933-001) 1933 Schießstand


Das Jahr 1934 begann mit der Aufhebung der Länderparlamente in Deutschland. Die Arbeitsfront bemächtigte sich des Konsums. Der hiesige Verwalter Deeg blieb im Amt. Seine sozialdemokratische Gesinnung musste er zwar fortan verbergen, blieb ihr aber bis zum Ende der Hitlerzeit treu.

Wirtschaftlich konnten keine Verbesserungen beobachtet werden. Durch die Erfassung großer Bevölkerungsteile in NS-Formationen stieg der Bedarf an Textilien und Lederwaren für die Uniformen. Auch die Landwirtschaft profitierte etwas durch Hitlers Autarkiebestrebungen. In der Glasindustrie änderte sich vorerst nichts. Besonders die Glasbläserdörfer am Südostende des Thüringer Waldes blieben noch über Jahre hinaus Notstandsgebiet.

Entscheidend für die innenpolitische Situation war der so genannte „Röhmputsch“, in Wirklichkeit die Ermordung führender Nationalsozialisten, deren Vorstellungen und Ziele Hitler, Göring und Goebbels nicht passten, am 30. Juni in Wiessee. Gegner des Finanzkapitals, wie Gottfried Feder und soziale Träumer, wie Gregor Strasser, verschwanden ebenso wie der der SA-Chef Röhm, der die Reichswehr mit ihrer reaktionären Führungsspitze durch ein Volksheer ersetzen wollte. Das Ergebnis der Aktion war eine Machtzunahme der SS und der PO (politische Organisation) sowie eine Abwertung der SA zu einer Vereinigung von erwachsenen Männern, die mit knabenhaftem Ernst Kriegs- und Geländespiele zu üben hatten, wenigstens vorläufig. Die PO teilte alle Wohngebiete in Blocks, Zellen, Kreise und Gaue ein, denen „Leiter“ vorstanden, die wegen ihrer goldbetressten, hellbraunen Uniformen heimlich als „Goldfasane“ bezeichnet wurden. Mit Hilfe dieser „Politischen Leiter“, zu denen auch die „Amtswalter“ der Arbeitsfront in den Betrieben gehörten, konnte die NSDAP praktisch Kontrolle und Bespitzelung bis in die Hausgemeinschaften ausüben.


⇒(Ergänzung 1934-001) 1934 Jungvolk


In Gehlberg tauchte zu dieser Zeit der Albin Stollberg aus Dessau auf. Hier arbeitete er als Bademeister. Das neue Schwimmbad wies große Mängel auf. Die Ufer waren schräg abgeböscht und mit gespundeten Brettern abgedeckt, der Untergrund so porös, dass ständig Wasser abfloss und man Mühe hatte, den zum Badebetrieb erforderlichen Wasserstand zu halten. Stollberg setzte die Beseitigung der Böschungen sowie die Zementierung des Beckens durch und widmete sich intensiv der gesamten Gestaltung des Objektes. ⇒(EA1934-004)


⇒(EA135) Blick in das Zahme Geratal 1934


Die örtlichen Nachrichten über die folgende Zeit sind spärlich.
Das Jahr 1935 begann mit einem erfreulichen Ereignis. Am 13. Januar entschied sich die Bevölkerung des Saargebietes in einer Volksabstimmung für die Rückkehr in das Deutsche Reich. Goebbels nutzte nun diese Gelegenheit für seine nationalistische Propaganda zur Vorbereitung eines Krieges weidlich aus. Am 16. Juni folgte das Gesetz über die Arbeitsdienstpflicht der gesamten Jugend. Zwei Tage später schloss Hitler mit Großbritannien ein Flottenabkommen, das ihm gestattete, eine Kriegsflotte bis zu einer Stärke von 35% der britischen zu bauen.

Die schon heimlich begonnene Aufrüstung konnte nun unverhüllt und verstärkt durchgeführt werden. Hierdurch wurde der seit dem Abflauen der Weltwirtschaftskrise schon seit längerer Zeit spürbare Aufschwung der deutschen Wirtschaft enorm gesteigert. De Arbeitslosigkeit sank von 6 Millionen im Jahre 1933 auf 2 Millionen 1935 und fiel durch die Rüstungsaufträge und die Einziehung zum Militärdienst ständig weiter.

Die hiesige Glasindustrie, die im Gegensatz zu den Glasbläsereien am Südostende des Gebirges hauptsächlich technisch-physikalische, chemische und medizinische Glasartikel herstellte, kam wieder in Schwung. Da überall mehr Geld verdient wurde, belebte sich auch der Fremdenverkehr im Ort ständig. Angesichts dieser Tatsachen gaben viele Menschen ihr Misstrauen gegen die NSDAP auf und wurden zu Mitläufern. Weil Hitler in allen Dingen Recht zu haben schien, wurde er nach und nach zum Idol der Leichtgläubigen. Selbst so peinliche Maßnahmen, wie die antisemitischen „Nürnberger Gesetze“ vom 15.9.1935, wurden von den meisten Menschen ohne sonderliche Erregung zur Kenntnis genommen. Doch bekamen manche Einwohner die Auswirkungen des Antisemitismus schon bald zu spüren, wenn sie in gewohnter Weise den regelmäßig in Gehlberg praktizierenden jüdischen Arzt Dr. Herz aus Elgersburg konsultierten und sich deshalb in zunehmendem Maße spitze Bemerkungen und Anpöbeleien überzeugter Nazis gefallen lassen mussten.


⇒(EA136) Schillingshütte
⇒(EA1935-001) Im Gasthaus Dümmiche
⇒(EA1935-002)Foto Hungertalsteich
⇒(EA1935-003)Foto Beamtenheim Mühlweg 10
⇒(EA1935-004)Foto Blick vom Hans-Kehr-Stein
⇒(EA1935-007)Foto Schillings Schleiferei


Im Jahre 1936 traf die NS-Regierung weitere folgenschwere Maßnahmen:

   1.  Einmarsch der Wehrmacht in das seit 1919 entmilitarisierte Rheinland
   2.  Abschluss eines Bündnisses mit dem faschistischen Italien („Achse Berlin-Rom“)
   3.  Abschluss eines Militärbündnisses mit Japan
   4.  Inkrafttreten eines Vierjahresplanes zur Sicherung der Rohstoffversorgung für die Rüstungsindustrie

Die Menschen machten sich keine Gedanken darüber, wohin diese Aktionen schließlich führen mussten, sondern freuten sich über die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Es kamen wieder genügend „Badegäste“, an die man Zimmer vermieten konnte. Handel und Gewerbe blühten wieder auf.

So stellte z. B. Bäcker Wirsing feinste Torten- und Konditoreiwaren für Fremde und Einheimische her. Auch die Gaststättenbesitzer konnten nicht über mangelnden Umsatz klagen. Außerdem boten sich auch für andere Einwohner Möglichkeiten zum Geldverdienen, die nicht selten unter etwas hochtrabenden Bezeichnungen genutzt wurden.
Das „Sporthaus Schleicher“ zum Beispiel war nur eine kleine Werkstatt, in welcher Wintersportgeräte gepflegt und repariert wurden. Relativ schlichte Unterkünfte erhielten wohl tönende Namen, die meistens mit den Bezeichnungen „Pension“ oder „Haus“ begannen. Es entstanden aber auch einige „richtige“ Geschäfte. So zog der Drogist Kurt Scheidt in das von ihm erworbene Haus des Richard Greiner (Arlesberger Str. 19) ⇒(EA093) und eröffnete dort einen Laden für Drogen, kunstgewerbliche Gegenstände und Andenken. Die bisher von ihm benutzte Stube baute Karl Volckhold zu einem Laden für Elektroartikel und Haushaltsgeräte aus. ⇒(EA085)

Bernhard Adolph (Hauptstraße 1) ⇒(EA094)Foto, Fuhrunternehmer, Holz- und Kohlenhändler, legte sich einen Lkw „Ford V8“ zu.

Am 17.4.1936 kam der Tischler Kurt Pfefferkorn aus Leipzig in den Ort und pachtete Maschinensaal und Gatterraum der Hartwigschen Fabrik im Geragrund. Die Tischlerei hatte Edwin Ludwig bereits in Pacht. Beide beschäftigten sich in Kooperation mit der Herstellung von Küchenkleinmöbeln ⇒(EA095)Weltkugel.

 

1937 gab es bereits eine ganze Anzahl Gehlberger Männer, die zur Wehrmacht eingezogen waren.
Zweimal mussten Schulflugzeuge der Luftflotte in der Gehlberger Flur notlanden. Natürlich waren die Maschinen sofort von Jugendlichen umringt, die sich lebhaft dafür interessierten. ⇒(EA1937-002)


⇒(EA126) Luftbild 1937


Im Hotel „Daheim“ führte der „Luftschutz“ Ausbildungsabende für die Bevölkerung durch. Sie fanden an 6 Tagen der Woche statt. Die meisten Einwohner besuchten diese recht erzwungenen Veranstaltungen nach der Tagesarbeit sehr ungern.

Im Wald begann der Raubbau. Statt der für das Gehlberger Revier vorgesehenen 11.000, mussten 20.000 Festmeter Holz geschlagen werden.

Durch einen Wechsel in der hiesigen Spitze der NSDAP änderte sich das politische Klima. An Stelle des bisherigen ortsansässigen Oswald H. übernahm der aus Zella-Mehlis stammende Lehrer Kurt W. die Ortsgruppenleitung. Dem Oberlehrer Karl Biemüller, der sich weigerte, der hiesigen NSDAP beizutreten, nahm er das Schulleiteramt fort und versah es selbst.

Die Gemeinde kaufte in diesem Jahr eine Dreschmaschine und ließ sie in einem Schuppen auf dem alten Schulturnplatz hinter den Häusern der Nordstraße aufstellen ⇒(EA096)  .

Die Haupt- und Schmückerstraße sowie die Geratalstraße vom Bahnhof bis etwa 500 m unterhalb der Hartwigschen Fabrik wurden mit einer Teerdecke versehen. Da man den Untergrund nicht bearbeitete, war die Fahrbahn schon nach wenigen Jahren wieder weitgehend zerstört.

An neuen Häusern entstanden:

  -  „Haus Hildegard“ an der Abzweigung zum „Webers Geräum“ ⇒(EA130);
  -  Max Lutz in der Haselbrunnstraße 10 ⇒(EA131);
  -  Geschäftshaus der Frau Else Behling unterhalb der Schmiede, Hauptstraße (damals „Hindenburgstraße“) 10a ⇒(EA099)WeltkugelFoto;
  -  zwei Straßenwärterhäuser auf der Schmücke (mit Holzverschalung).

Wegen Baufälligkeit musste das seit 1937 für Luftschutzübungen benutzte Spritzenhaus am Eingang der Gundelachschen Fabrik abgerissen werden. Die Feuerspritze (mit handbetriebener Pumpe) wurde nunmehr in der Fabrik untergestellt.

Der Viehbestand des Ortes wurde zum Teil von der Maul- und Klauenseuche befallen (bis Juli 15 Tiere).

Die beiden Inhaber der Schillingschen Fabrik, über deren zurückgezogene Lebensweise bereits berichtet wurde, verkauften den Betrieb am 1.1.1937 an das Jenaer Glaswerk „Schott & Genossen“. Da ihre Fabrik (bis 1948) in die Schott-Stiftung nicht aufgenommen wurde, lief sie unter dem Namen „Franz Schilling G.m.b.H.“ weiter. Hans und Franz Schilling behielten das Wohnrecht in der Schillingschen Villa (Hauptstr. 52) ⇒(EA097)WeltkugelFoto.

Im Februar 1937 brach ein Teil des oberen (alten) Stollens der „Vollen Rose“ am Zahmen Geratal zusammen und schloss den Bergmann Bernhard Senf aus Arlesberg ein. Da ihn seine Arbeitskameraden allein nicht befreien konnten, musste die Rettungsmannschaft der Maximilianshütte Unterwellenborn herbeigeholt werden. Nach 3 Tagen konnte der „lange Senf“ erschöpft aber lebend geborgen werden.


017 Bergleute Volle RoseAbb. 017
Bergleute der Braunsteingrube "Volle Rose" im Tal der "Zahmen Gera" unterhalb des Trogwegs (Bild Anfang 1936); links Bernhard Senf
⇒(EA098)Weltkugel

Zu dieser Zeit war außer der „Vollen Rose“ war nur noch die (Hart-) Mangangrube „Heinrichsglück“ (Jüchnitztal) in Betrieb. Die Braunstein-Stollen „Gottesgabe“, „Morgenstern“ und „Grüne Tanne“ (alle im Jüchnitztal) waren schon wegen zu geringer Ergiebigkeit aufgegeben worden.

1938 besetzte die Wehrmacht Österreich und die Tschechoslowakei. Spitzel und Denunzianten achteten sehr darauf, wer sich abfällig über Hitler und seine Maßnahmen äußerte. So hatte der Hirt Emil L. unbedachter Weise verlauten lassen, nicht die Kommunisten, sondern Hermann Göring selbst habe den Reichstag angezündet. Der SA-Sturmführer R. aus Oberhof verhaftete L. und veranlasste seinen Weitertransport nach Arnstadt. Der Gehlberger Bürgermeister Edmund Wiegand ⇒(EA132)Weltkugel aber fuhr zum Landrat und zur NSDAP-Kreisleitung. Einmal brauchte er den Hirten dringend für den Ort, zweitens war er ehemaliger Sozialdemokrat und billigte (insgeheim) nicht die Maßnahmen der SA. Durch Bagatellisierung des Falles erwirkte er die Freilassung des L.

Im April 1938 eröffnete Frau Behling das bisher in der Schmiede betriebene Textilgeschäft im Laden ihres neu erbauten Hauses Hauptstraße 10a ⇒(EA099)WeltkugelFoto. Die Räume in der Schmiede nutzte die Frau des Hilmar Schmidt durch einen kleinen Tuchhandel ⇒(EA100)Weltkugel.

Die Getreideernte wurde erstmalig mit der neuen Dreschmaschine gedroschen. Als Maschinist fungierte der Elektriker Karl Volckhold. Im folgenden Jahre übernahm Hermann Hellmuth dieses Amt.
Von da an wiederholte sich in jedem Jahr das gleiche Bild. Die Erntewagen fuhren von der Hauptstraße durch die Schulstraße zum Druschplatz hinter der Nordstraße. Sobald der erste Wagen zum Drusch kam, staute sich die Kolonne und rückte nur voran, wenn die Ladung des jeweils ersten Wagens fertig bearbeitet war. Die Begleiter der vorderen Wagen halfen an der Maschine, bis ihre eigene Ladung an der Reihe war. Die übrigen Ernteleute standen wartend in der Nähe ihrer Fahrzeuge, unterhielten sich mit den Anwohnern, kurz, es war ein gemütliches und meist recht heiteres Treiben. Gegenseitige Hilfe war dabei ebenso selbstverständlich wie beim Bereiten des Winterholzes durch die im Ort reihum arbeitenden Brennholzschneider. (V. Höfner und K. Volckhold)

Bis zum Jahre 1938 waren zu den Glasfirmen

   - Gundelach; 
   - Schilling G.m.b.H.; 
   - H. Hartwig; 
   - Emil Fleischhauer; 
   - Bernhard (nunmehr Eduard und Arno) Fleischhauer; 
   - Adolf Eichhorn; 

noch die Kleinbetriebe

   - Alfred Eichhorn, Ritterstraße 20; 
   -  Otto Hartwig II, Ritterstraße 6 ; 
   - Viktor Höfner, Oststraße 1; 
   - Friedrich Schmidt (später Straube), Hauptstraße 11 ; 
   - Theodor Schleicher, Bergstraße 14;
   - Otto Wiegand, Ritterstraße 18;
und 
   - Otto Kraußer, Wilde-Geratal-Straße; ⇒(EA102)Weltkugel

gekommen.
Die Beschäftigtenzahl bei Gundelach, die 1934 nur noch 90 Mann betragen hatte, war inzwischen wieder angestiegen.


⇒(EA1938-001) Viehtrieb


Im Jahre 1939 begann der 2. Weltkrieg. Ein von der NS-Regierung vorgetäuschter Überfall auf den Sender Gleiwitz lieferte die Rechtfertigung für den Angriff auf Polen. Da England und Frankreich die Polen nicht durch Kampfhandlungen unterstützten, Hitler und Stalin anschließend einen Nichtangriffspakt abschlossen, merkten die meisten Menschen nicht, dass Deutschland der Katastrophe zu steuerte.

Die Gehlberger Kommunisten hatten trotz des Verbotes ihrer Partei die Verbindung zu ihren auswärtigen Genossen nie abreißen lassen. Zuweilen trafen sie sich heimlich mit ihnen, z. B. Franz W. mit dem Manebacher Linke auf dem Mönchhof. Er wurde von Unbekannten denunziert, verhaftet und nach Ilmenau gebracht. Eines Tages hieß es, W. (1880 – 1939) habe im dortigen Gefängnis Selbstmord begangen. Genaues über seinen Tod ist nie bekannt geworden. Im Dorf wurden Gerüchte über angebliche Verfehlungen in Umlauf gesetzt, die aber seinem Charakter in keiner Weise entsprachen. Höchstwahrscheinlich treffen vielmehr die Angaben zu, nach denen er glaubte, den Quälereien auf die Dauer nicht widerstehen zu können, die ihm seine Peiniger zufügten, um ihn zum Verrat illegal arbeitender Genossen zu zwingen.

Im Jahre 1939 begann die Reichsbahn auf Veranlassung ihres sehr an der Förderung des Wintersports im Gehlberger Raum interessierten Beamten Karl Jordan aus Erfurt mit dem Umbau des Empfangsgebäudes des hiesigen Bahnhofs.
Der Lebensmittelhändler Otto Griebel erweiterte sein Geschäft (Hauptstraße 40) ⇒(EA103) zu einem für damalige Verhältnisse hochmodernen Laden mit 4 Schaufenstern.
In der Haselbrunnstraße (8) entstand das Haus des Fritz Franke ⇒(EA104).


⇒(EA1939-002) Bierausschank 1939



Die Firma Schott bzw. Schilling G.m.b.H. baute das Haus Ritterstraße 3, bewohnt vom Prokuristen Köhler.

Die Gemeinde kaufte im Dezember das Villengrundstück des Glasfabrikanten Gundelach von dessen Tochter Annakläre T.. Es wurde zum Gemeindeamt und Sitz der Kurverwaltung eingerichtet ⇒(EA105).

Nach den damaligen Ermittlungen besaß Gehlberg 1940

   -  landwirtschaftliche Betriebe mit zus. 66,5 ha 
   - landwirtschaftliche Kleinbetriebe mit zus. 36,75 ha 
   -  die forstwirtschaftlich genutzte Fläche betrug 1879,70 ha 
  gesamt 1982,95 ha 


Die Leute hielten sich jetzt etwas mehr Großvieh als zur Zeit der Arbeitslosigkeit. Der Ort besaß wieder eine stattliche Rinderherde, die während der warmen Jahreszeit täglich zur Waldgrasweide getrieben wurde – ein beliebtes Fotomotiv für die Urlauber.


⇒(EA1939-001) Prospekt der Gemeinde-Kurverwaltung



Abb. 075
Die ersten Skihütten am Brandweg
 

Obwohl nur ganz wenige Familien von der Landwirtschaft allein lebten, gab es einen Ortsbauernführer (Albert S. I). Das war auf die besondere Betonung des Bauernstandes als „Blutquell der Nation“ durch die NS-Ideologie zurückzuführen.

Zu jener Zeit gab es im Ort 170 Personen, die immer an Fremde vermieteten.
Das wichtigste Ereignis des Jahres 1940 war der Überfall vom 10. Mai auf Holland, Belgien und Frankreich.
Einwohner des Saargebietes, die wegen der Kämpfe im Westen evakuiert worden waren, kamen in den Ort und wurden in der „Mühle“ und im Pensionshaus „Weide“ (oberes Stockwerk des Eichamtes) einquartiert. Zwischen ihnen und den Ortsansässigen gab es bald Reibereien, hauptsächlich wegen der recht verschiedenen Lebensgewohnheiten. Die Einquartierung dauerte aber nicht lange. Schon im Juli konnten die Saardeutschen in ihre Heimat zurückkehren.

Das zur Gehlberger Mühle gehörende flache Gebäude auf der nach dem Bach gelegenen Straßenseite war für gastronomische Zwecke gebaut und eingerichtet worden. Nun wurde es in ein Lager für französische Kriegsgefangene umgewandelt, die im Wald arbeiten mussten. Sie stellten auch die Kanalisation am Achsenhag fertig, wo einige Holzhäuser für Forstarbeiter entstanden waren, die 1940 bezogen wurden. Bewacht wurden die Gefangenen von „Landesschützen“. Das waren ältere Männer, meistens Teilnehmer des ersten Weltkrieges, die für den Dienst an der Front nicht mehr in Frage kamen. Abgesehen von einigen Wichtigtuereien hatten die Gefangenen von diesen Männern keine Schikanen zu befürchten und wurden recht gut behandelt. Anders sah es mit der ihnen zur Verfügung stehenden Verpflegung aus. Durch den Krieg waren die Lebensmittel im Lande bereits etwas knapp geworden. Kein Wunder also, wenn einige Aufseher, Küchenpersonal und dessen „gute Bekannte“ einen Teil der Gefangenenverpflegung veruntreuten und die Differenz durch „Taufen“ mit Wasser ausglichen. Die Gefangenen waren dagegen völlig machtlos. Allerdings gab es für sie auch einige Ausgleichsmöglichkeiten. Da viele Männer zum Heeresdienst eingezogen waren, forderten die zurückgebliebenen Familienangehörigen häufig Gefangene zum Holzhacken oder zur Verrichtung anderer Arbeiten an. Die Franzosen meldeten sich gern zu solchen Einsätzen, konnten sie sich dabei doch ziemlich frei bewegen, wurden wohlwollend behandelt und von den Einwohnern gut verköstigt. Lobend sind auch die Waldarbeiter zu erwähnen, denen Kriegsgefangene zur Arbeit zugeteilt waren. Sie gaben den Franzosen häufig von ihrem Frühstück ab und steckten ihnen zuweilen auch ein paar Esswaren zu.

Wie schon erwähnt, befanden sich durch den Krieg nicht mehr viele jungen Menschen im Ort. Das wirkte sich auch auf die NS-Organisation aus. Die meisten SA-Leute waren bereits eingezogen. Deshalb gewann die „SA-Reserve“ an Bedeutung. Sie bestand, analog zu den erwähnten „Landesschützen“ (anspielungsweise auch „Landesschürzenjäger“ genannt) aus älteren Männern. Wie die aktive SA, war auch die Reserve in Gehlberg nicht zahlenmäßig stark, so dass sie zum Gräfenrodaer „Sturm“ gehörte.

Unter der Losung „Heim ins Reich“ hatten die Nationalsozialisten viele Menschen deutscher Abstammung aus den Balkanländern nach Deutschland bringen lassen. Deshalb entstand auch in der Gehlberger Mühle (Pensionshaus) ⇒(EA106) ein Lager für Wolhyniendeutsche, die hauptsächlich aus der Umgebung von Lemberg stammten. Die Leute waren sehr arm, hatten sie doch nur ganz wenig von ihrer Habe mitbringen können. Die meisten Umsiedler konnten nur wenige Worte deutsch sprechen, manche Frauen und Kinder überhaupt nicht. Sie besaßen so gut wie gar keine Freiheit, erhielten nur ganz geringes Taschengeld und wurden ab und zu von „Amtswaltern“ der NSDAP wie eine Herde geschlossen „spazieren geführt“. Der erste Schub wurde bald nach Bad Berka weitertransportiert. Es kamen jedoch zwei weitere, von denen einer wieder in die Mühle, der andere im Beamtenheim (hinter dem Eichamt) untergebracht wurde ⇒(EA125).
Die Bevölkerung mutmaßte damals, dass der NSDAP-Ortsgruppenleiter W. die Einrichtung des Lagers veranlasst hatte, um sich unentbehrlich zu machen. In der Schule brauchten damals nur 80 Kinder unterrichtet zu werden. Es hätten also nicht alle Lehrer voll beschäftigt werden können. Folglich erteilte W. gar keinen Unterricht mehr, sondern behielt nur die Schulleiterstelle inne und betätigte sich hauptsächlich als Lagerleiter. Die Kritik an seinem herrischen, zänkischen und intriganten Wesen wuchs schließlich so an, dass ihn seine Partei auf die Dauer in dem kleinen Ort nicht halten konnte. W. wurde zunächst nach Arnstadt versetzt und im Dezember zum Militär eingezogen. Neuer NSDAP-Ortsgruppenführer wurde der aus Weimar stammende Buchhalter der Firma Schilling, Karl L..
Die Leitung der Schule übernahm wieder Oberlehrer Karl Biemüller.

In diesem Jahre machten die Gehlberger die ersten, zunächst ganz harmlosen Bekanntschaften mit dem Luftkrieg. In der Nacht vom 15. zum 16. August 1940 überflogen englische Bombenflugzeuge das Dorf. Fernes Flakfeuer war zu hören. Viel Aufregung verursachte ein angenommener Abwurf nicht explodierter Bomben auf das Gebiet der umgebenden Ortsflur. Am folgenden Tag stellte man fest, dass es sich nur um nicht gezündete Leuchtbomben gehandelt hatte. Weitere Fliegeralarme mussten am 18.8. und 1.9.1940 gegeben werden.


⇒(EA137) Blick vom Brand


Die Veranstaltungen der NSDAP, wie „Block- und Zellenabende“, wurden schlecht besucht. Es waren immer nur wenige Einwohner anwesend, die sich durch ihre berufliche Stellung vom Regime abhängig fühlten.
Auch der Besuch kirchlicher Veranstaltungen war dürftig. An den Gottesdiensten, die der Zellaer Pfarrer Weidauer abhielt, nahmen höchstens 10 Personen teil, meistens ältere Frauen.

In der ehemals Hartwigschen Fabrik im Geragrund hatte inzwischen der Tischler Pfefferkorn bankrott gemacht und den Offenbarungseid geleistet. Den verschuldeten Betrieb übernahm ein Heinrich Meng.
Der Umbau des Bahnhofs wurde beendet. Das Empfangsgebäude hatte eine geräumige Wartehalle bekommen, die sich sehr gut für Wintersportler mit Skiern oder Feriengäste mit umfangreichem Gepäck eignet.

1940 blieb das oft zwischen Weihnachten und Neujahr einsetzende Tauwetter aus. Der schon im November gefallene Schnee blieb liegen. Silvester fiel so viel Neuschnee, dass er im Ort und in der Flur etwa 1,5 Meter, auf den Bergen aber noch höher lag. Der Eisenbahnverkehr zwischen Gräfenroda und Zella-Mehlis musste deshalb eingestellt werden.

1941, das Jahr des Überfalls auf die Sowjetunion, begann mit Schneestürmen und Kälte. Zwar schaufelten Soldaten mit großer Mühe die Eisenbahn frei, doch erneuter Schneefall machte sie bald wieder unbefahrbar. Daher konnten weder Post noch Milch und andere Lebensmittel herangeschafft werden. Auch im unteren Ortsteil waren die Gartenzäune nicht mehr zu sehen und der Schnee erreichte eine Höhe bis über die Fensterbänke der Parterrewohnungen. Die Straßen mit zu beiden Seiten hoch geschaufeltem Schnee glichen Schluchten. Die Schneeschmelze stellte sich erst sehr spät ein. Noch am 30. Mai führte die Gera Hochwasser. Frau Melitta Bergmann stürzte hinter ihrem Haus in den Bach und ertrank. Ein französischer Kriegsgefangener barg ihre Leiche aus dem reißenden Wasser. Er wurde daraufhin aus der Gefangenschaft entlassen und durfte in seine Heimat zurückkehren.



Abb. 084
Winter 1941
Die bis auf einen Fahrstreifen meterhoch verschneite Hauptstraße (Café Kühn und Bäckerei Wirsing). Gartenzäune und Erdgeschossfenster sind nicht mehr zu sehen.
⇒(EA064)

⇒(EA1941-001) Winterbilder


Das Leben der Menschen in der zweiten Hälfte dieses Jahres beeinflussten die Ereignisse des Krieges im Osten. Längst hatte der Fremdenverkehr wieder aufgehört. Mangelerscheinungen, wie sie schon der 1. Weltkrieg brachte, traten wieder ein. Die Straßen waren abends wie ausgestorben. Wo sich nur der Anschein eines Lichtspaltes aus den Fenstern zeigte, ertönte bald der Ruf: “Licht aus!“ Im Herbst mussten Einwohner und Schulkinder auf die Felder nach Kartoffelkäfern suchen, erfreulicherweise ohne Resultat.

Von den Einwohnern kaum bemerkt, hatte sich in der vom eigentlichen Dorf ziemlich abgelegenen ehemaligen Hartwigschen Fabrik eine für das NS-Regime typische Änderung vollzogen. Zwangsarbeiter waren dorthin gebracht worden. Es handelte sich um 13 Russen und Ukrainer, 28 Juden, 3 Slowenen, 2 Saardeutsche und 4 Elsässer. Die meisten mussten in dem turmartigen Oberteil des Gebäudes hausen, dessen Fenster nach der Art eines Gefängnisses mit Gittern versehen waren.


⇒(EA138) Blick vom Felsenschlag
⇒(EA1941-002)  Prospekt


Der harte Winter zu Beginn des Jahres 1942 ist in der Geschichte durch die Schlachten vor Moskau und den Gegenangriff der sowjetischen Streitkräfte bekannt geworden. Die hohen deutschen Ausfälle durch Tod, Verwundung und Gefangenschaft mussten durch ständig zunehmende Rekrutierungen ausgeglichen werden. Auch in Gehlberg wurden immer mehr Männer eingezogen. Die NS-Funktionäre durchsuchten die Beschäftigungslisten in den Betrieben nach „unabkömmlich“ (u. k.) gestellten männlichen Arbeitskräften, um sie durch den Einsatz von Frauen freu zu bekommen und einzuziehen. Der hiesige Ortsgruppenleiter L. grub sich bei solcher Gelegenheit eine Grube, in die er selbst fallen sollte. Er versuchte nämlich, durch Briefe an entsprechende Behörden zu erreichen, dass der u.k.-gestellte Hüttenmeister H. der Schilling G.m.b.H., in der er selbst Prokurist war, an die Front geschickt werden sollte. Die Werkleitung bestellte den L. daraufhin zu sich nach Jena. Selbstbewusst fuhr er in seiner Amtswalteruniform hin. Bis heute ist nicht geklärt, welchen Rückhalt die Firma Schott & Genossen damals hatte, um einen für die seinerzeitigen Verhältnisse unerhörten Schritt straflos tun zu können: Sie entließ den NS-Funktionär fristlos. L. verlor damit auch die werkseigene Wohnung, er musste Gehlberg verlassen und nach Zella-Mehlis ziehen. Das Ortsgruppenleiteramt übernahm Emil G. (Jun.). Mit ihm stand wieder ein einheimischer und sachlicher Mann an der Spitze der NSDAP. Das zeigte sich schon bald. Unbekannte Denunzianten hinterbrachten der Ortsgruppenleitung, dass der ehemalige KPD-Angehörige S. die „Internationale“ gesungen haben sollte. G. überging die Sache mit Stillschweigen und meldete den Vorfall nicht weiter.

Im Herbst stellte man in der Ortsflur Flugblätter gegen das Hitler-Regime und den Krieg fest. Die Schulkinder mussten daraufhin die gesamte Umgebung absuchen. Das Ergebnis war mager: 40 Stück. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass hiesige Einwohner schon vor der Suchaktion solche Flugblätter fanden, sie aber nicht ablieferten.

Das Jahr 1943 begann mit der entscheidenden Wende des Kriegsverlaufes an der Wolga. Heimlich breitete sich unter den Menschen in Deutschland Skepsis gegenüber den Phrasen der nationalsozialistischen Propaganda aus. Der Winter war in Gehlberg kurz und brachte wenig Schnee. Die Unruhe unter der nationalsozialistischen Obrigkeit stieg, als wieder Flugblätter in der Flur gefunden wurden. Diesmal war auch ein Propagandaballon dabei, der sich auf dem „Buch“ in den Bäumen verfangen hatte.
In den nordwestdeutschen Gebieten richtete der Luftkrieg riesige Schäden an und forderte große Opfer an Toten und Verwundeten.
Am 5.6. kamen 80 Bombengeschädigte aus Wuppertal, am 15. des gleichen Monats eine größere Anzahl Flüchtlinge aus Düsseldorf nach Gehlberg. Später wurden noch Menschen aus Hamburg, Berlin, Dortmund und anderen Städten hierher evakuiert, insgesamt 153 Personen.

Lehrer Hans v. Minckwitz, der Verfasser des chronikartigen Büchleins „Ein Dorf im Walde“, wurde in das Elsass eingezogen. Seine Frau vertrat ihn nun in der Schule.

Zu dem überall herrschenden Mangel kam in diesem Jahr noch eine schlechte Ernte. Besonders der Kartoffelertrag war äußerst dürftig. Die Menschen waren schlecht genährt und gekleidet. Trotzdem wurde ständig an ihre Opferbereitschaft appelliert.
Das ungünstige Klima wirkte sich auch auf die Wildtiere im Walde aus. Sie fanden nicht genug Futter und drangen in die Ortsgemarkung ein. Um die Ernährung der Menschen hierdurch nicht noch mehr beeinträchtigen zu lassen, wurde der Wald im Norden und Osten Gehlbergs durch Wildgatter vom Ort abgeriegelt.

Da an einen Sieg der Wehrmacht mit den herkömmlichen Waffen nicht mehr zu denken war, wurde die Entwicklung neuer Kampfmittel forciert. Die Propaganda suggerierte der Bevölkerung den Glauben an „Wunderwaffen“, die eine Wendung des Kriegsgeschehens herbeiführen sollten. In Gehlberg wurde das Vordergebäude Mühlweg 10 ⇒(EA049), das bisher als Eichamt für die hier produzierten Glasgeräte diente, am 1.1.44 von der damaligen Reichspost gekauft und eine „Zentrale Forschungsanstalt für Nachrichtentechnik“ darin eingerichtet. Da die Institution kriegswichtig war, blieben Einsprüche der hiesigen Industrie wegen der Schließung des Eichamtes ohne Erfolg.


⇒(Ergänzung 1943-001) 1943 Musterung des Jahrgangs 1926


Auch 1944 wurden weiterhin Menschen aus kriegsgefährdeten Gebieten, aber auch Kriegs- und Zivilgefangene nach Gehlberg gebracht, darunter Russen, Ukrainer, Slowenen, Polen, Italiener, Franzosen, Flamen und Holländer. Bei 1100 eingetragenen Einheimischen betrug die Zahl der Fremden etwa 500.
Eingezogen waren bis zum Jahresende 235 Männer. Die Zahl der gefallenen, gefangenen und vermissten Gehlberger wurde mit 59 angegeben.
Im November versuchten die Nationalsozialisten das Kriegsgeschehen durch Ausschöpfung der letzten Reserven zu ihren Gunsten zu beeinflussen. In Gehlberg waren es 157 ältere Männer, die am 10.12.1944 zum „Volkssturm-Bataillonsappell“ nach Gräfenroda mussten. Als Kompanieführer fungierte ein nach Gehlberg zugezogener Sattler, dem man wegen seiner Treue zum Regime die Leitung der hiesigen Post übertragen hatte.

Der schon im Vorjahr beobachtete Fichtenborkenkäfer breitete sich im Walde rasch aus, weil es an Arbeitskräften und Chemikalien zu seiner Bekämpfung mangelte. Die Bevölkerung erhielt deshalb die Erlaubnis, in den befallenen Revieren Bäume zur eigenen Brennholzgewinnung zu schlagen. Wegen der Kohleknappheit wurde reger Gebrauch davon gemacht.

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